Diese Affäre bietet alles, was ein James-Bond-Drehbuch braucht: Die ungarische Regierung wirft einer Privatfirma vor, einen Schattengeheimdienst betrieben zu haben. Das Unternehmen soll Mitarbeiter in Ministerien eingeschleust, Parlamentarier bespitzelt und E-Mails angezapft haben. Ziel der Spionage könnte sogar der staatliche Geheimdienst geworden sein. Die regierenden Sozialisten bringen nun die größte Oppositionspartei, die konservative Fidesz, in die Nähe des Skandals: Abgehörte Telefonate eines Ex-Fidesz-Ministers sollen belegen, dass die Opposition zu den Kunden der ominösen Firma zählte.

Was immer bei dem Fall letztlich herauskommt: Bisher sagt die Affäre primär etwas über die Verfassung der politischen Klasse Ungarns aus. Die Sozialisten werfen der Opposition Landesverrat und Spionage vor, reden von einer Bedrohung der Demokratie. Sie legen dafür gar keine bis kaum Beweise vor. Das scheint langsam zum Regelfall des politischen Umgangstons im Land zu werden: Sozialisten und Konservative bezichtigen einander schwerster Straftaten und sprechen sich gegenseitig die Legitimität ab. Die Fidesz etwa verlässt regelmäßig den Plenarsaal des Parlamentes, wenn Premier Ferenc Gyurcsány auch nur das Wort ergreift. Eine einzigartige Diskussionsverweigerung in einer Demokratie.

Ungarn gerät seit zwei Jahren auch wegen rechtsextremer Gewalt in die Schlagzeilen. Im Grunde weiß niemand, warum extremistische Gruppen in dem wohlhabenden Land so stark werden konnten. Die beiden Großparteien sorgen durch ihr Verhalten dafür, dass der Zulauf zu diesen demokratiefeindlichen Kräften noch lange nicht versiegen wird. Ungarn wird zu einem Problemfall. (DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.9.2008)