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Massimo Moratti (2. v. re.), Präsident des Fußballklubs Inter Mailand, kaufte als Erster ein beschädigtes Haus im historischen Kern von Salemi. Ganz rechts Bürgermeister Vittorio Sgarbi

Foto: EPA/Lannino

Seine geniale Fähigkeit zur Selbstdarstellung wollen ihm auch die zahlreichen Gegner nicht absprechen. Wo immer der exzentrische Kunsthistoriker Vittorio Sgarbi agiert, lässt er seinem Temperament freien Lauf. Davon kann Silvio Berlusconis ehemaliger Kulturminister Giulianio Urbani ein Lied singen, der nach einem entnervenden Dauerkrieg auf der Entlassung des ungestümen Staatssekretärs bestand. Und Mailands Bürgermeisterin Letizia Moratti sah sich letzthin gezwungen, Sgarbi als Stadtrat für Kultur zu feuern.

Konnte dem tief beleidigten Kunstkenner da Verlockenderes widerfahren als die Herausforderung, eine vergessene sizilianische Gemeinde wiederzuerwecken? Die Wahl zum Bürgermeister von Salemi war für Sgarbi reine Formsache. Flugs bevölkerte er den Stadtrat des mittelalterlichen Ortes mit schillernden Figuren: dem Werbefotografen Oliviero Toscani, dem Anti-Mafia-Richter Giuseppe Ayala, dem sizilianischen Fürsten Bernardo Tortorici di Raffadali und dem Architekten Peter Glidewell - "un gruppo di matti", einem Haufen Verrückter, wie der 56-jährige Bürgermeister kokett anmerkte.

Der 1968 durch ein Erdbeben verwüstete Ort sollte aus seinem "vegetativen Zustand in eine neue Zukunft katapultiert werden". Dazu ersann die kreative Riege ein "revolutionäres Konzept". Sgarbi bot bebengeschädigte Altstadthäuser für einen Euro zum Kauf an. Prominente aus ganz Italien pilgerten in die 11.000-Einwohner-Gemeinde, um eines der bröckelnden Steinhäuser zu erwerben.

"Kostspielig und langwierig"

Inter-Präsident Massimo Moratti, der sich das erste Gebäude sicherte, wurde zum Ehrenbürger ernannt. Ihm folgten Künstler, Politiker, Unternehmer. Urbanistik-Stadtrat Tortorici dämpft die Euphorie potenzieller Billigkäufer. Sein Amt sei "seit dem Erdbeben von 1968 faktisch stillgelegt." Die Restaurierung der beschädigten Gebäude in der von Sgarbi geforderten traditionellen Steinbauweise sei "kostspielig und langwierig".

Oppositionsführer Angelo Calogero hält die "Show" des neuen Bürgermeisters für einen "klassischen Coup de théâtre". Außer Ankündigungen sei bisher nichts passiert. Das stimmt durchaus. Doch das mediale Trommelfeuer hat Salemi aus seinem Dornröschenschlaf erwachen lassen. Täglich flanieren Neugierige durch die arabisch geprägten Gassen unter dem mächtigen Schloss Friedrichs II. Für Fernsehteams verlässt der Bürgermeister jederzeit sein Büro. Denn bei seiner Verurteilung wegen ständigen Krankfeierns hatte der Kunsthistoriker 1996 dem Richter erklärt, er sei "zu genial, um in einem Amtszimmer vor sich hin zu vegetieren". ( Gerhard Mumelter, DER STANDARD Printausgabe, 27./28.09.2008)