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Parteichef David Cameron: Mitte und alte Werte.

Foto: Reuters/Faisal Mahmood

Weil der Name schließlich Programm ist, haben die britischen Konservativen den Abschied von einer liebgewonnenen Tradition lange hinausgezögert. Während die Regierungspartei Labour schon vor zwei Jahren ihr Herbsttreffen in einer Millionenstadt wie Manchester veranstaltete, pilgerten die Tories weiterhin in eines der mehr oder weniger heruntergekommenen Küstenstädtchen Englands. Diesmal aber steigt auch der Tory-Parteitag abseits der Küste: Die zweitgrößte englische Stadt, Birmingham, darf von Sonntag an den Gastgeber spielen.

Nicht zufällig handelt es sich dabei um eine der wenigen Großstädte, in denen Großbritanniens wichtigste Oppositionspartei das Zepter schwingt. Bei den Gemeindewahlen im Mai überlagerte Boris Johnsons sensationeller Sieg in London die Tory-Erfolge in ihren ländlichen Kerngebieten, aber eben auch in Ballungsräumen wie Birmingham.

Der Arithmetik des Mehrheitswahlrechts zufolge benötigt der charismatische Vorsitzende David Cameron (41) bei der nächsten Unterhauswahl um die 43 Prozent der Stimmen, um eine Regierung bilden zu können. In den vergangenen Monaten gaben die Meinungsumfragen den Tories tatsächlich bis zu 50 Prozent; die jüngste Befragung des zuverlässigen YouGov-Instituts notierte die Oppositionspartei nur noch bei 41 Punkten.

Das liegt an der guten Rede, mit der Premier Gordon Brown (57) am Dienstag den Labour-Parteitag entzückte. Die Regierungspartei bleibt ideenlos, Browns Führungsstil zögerlich. Doch die Finanzkrise und die drohende Rezession geben dem erfahrenen Krisenmanager Aufwind.

Cameron hat seine Partei geschickt in der Mitte platziert, ihre Umwelt- und Sozialpolitik neu formuliert und sich erst jüngst wieder als Verfechter klassischer Tory-Werte wie Law and Order, kleiner Staat und Familie präsentiert. Wie aber reagieren die Verfechter des freien Marktes auf die Exzesse von Aktienhändlern und Investmentbankern? Welche Rezepte hat die älteste Partei der Welt gegen die ansteigende Arbeitslosigkeit? Cameron will "moderne, progressive, liberale Opposition" verkörpern. In Birmingham aber werden die Tories auch detaillierte Vorschläge zur zukünftigen Wirtschafts- und Finanzpolitik vorlegen müssen. Nur dann werden sie die Serie der Unterhaus-Wahlniederlagen durchbrechen. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.9.2008)