Foto: Regine Hendrich

Der neue Bukarester Bürgermeister Sorin Oprescu: Seiner kommunistischen Ver­gangenheit begegnet er mit post­kommunistischer Anpassung

Schuld sei diese Einstellung: Die Leute seien wie Schneeglöckchen, gewohnt zu buckeln und zu schweigen. Für Sorin Oprescu, den neuen Bürgermeister von Bukarest sind die politischen Probleme in seiner Stadt vorwiegend Mentalitätsprobleme. Den Bukarestern sei schwer zu erklären, dass sie nicht auf Fahrradwegen parken sollten, sagt er und grinst dabei ein bisschen. „Denn das ist eine Frage der Disziplin und auch das ist ein Mentalitätsproblem." Er will zwar „normales städtisches Bewusstsein" und „Freiwilligkeit" in der rumänischen Hauptstadt fördern, aber er scheint selbst nicht so recht daran zu glauben, jedenfalls hat er keine konkreten Vorschläge.

Solidaritätsgebühr von den Reichen

Als er im Mai diesen Jahres überraschend zum Bürgermeister gewählt wurde, versprach er eine Autobahn durch ganz Bukarest zu bauen (ein altes Projekt aus kommunistischen Zeiten), eine Solidaritätsgebühr von den Reichen einzuheben und die streunenden Hunde mit einer Tierpolizei zu bekämpfen. Auch Sozialwohnungen will er bauen lassen, um den viel zu hohen Mietkosten etwas entgegen zusetzen, sagt er zum Standard. Die Immobilienpreise sind in Bukarest mittlerweile so hoch wie in Wien, die Durchschnittsgehälter aber machen vielleicht ein Viertel davon aus, was man in Österreich verdient. Die Stadt boomt, gerät aber aus allen Fugen, ein Verkehrskonzept ist kaum erkennbar. „Bukarest erstickt beinahe", sagt auch Oprescu zum Standard und redet von einem grünen Ring um die Zwei-Millionen-Einwohner-Metropole. Der öffentliche Raum sei im Verhältnis zu Privatbesitz massiv zurückgegangen und die Wälder rund um die Stadt durch den Baumboom fast zerstört. Immerhin will Oprescu nun erstmals Einbahnen einführen.

Wandel in Bukarest

Der 57-jährige Arzt ist einer, der versucht einen Scherz an den anderen zu reihen, einer, der gerne mit den Augen zwinkert. Er spielt auf das Grundgefühl an, das sich in den wilden und schnellen Jahren des Wandels in Bukarest breit gemacht macht, ein Gefühl, das man sich ohnmächtig beugen muss, aber mit einer Prise Gewitztheit. Wie ein Schneeglöckchen, das ab und zu den Kopf schüttelt.

Oprescu ging als Unabhängiger in die Wahlen und doch steht er exemplarisch dafür, wie groß die Loyalitäten zu einer Partei und damit einer Wirtschaftslobby im Rumänien sein müssen, um erfolgreich zu bleiben. Er selbst wäre nichts ohne die Sozialdemokraten (PSD). Erst im April war er nach parteiinternen Streitigkeiten aus der PSD ausgetreten. Ursprünglich hatte das Wahlbüro in Bukarest seine Kandidatur abgelehnt, weil es zu Unstimmigkeiten auf den Unterschriftenlisten vorlagen. Doch Oprescu, der aus dem Herz der kommunistischen Nomenklatura kommt, gewann damit, dass er sich als Opfer des Systems darstellte.

Karriere beim Geheimdienstes

Seiner kommunistischen Vergangenheit begegnet er mit postkommunistischer Anpassung. Sein Vater Mircea Oprescu war im Informationsdienst des Geheimdienstes Securitate und stieg dort bis zum General auf. Zeitungsberichten zufolge wohnt er noch immer illegal in einer ehemaligen Parteivilla in einem Nobelviertel von Bukarest und weigert sich diese zu verlassen oder Miete zu zahlen. Auch Oprescus Mutter arbeitete seit 1958 im Außenministerium. Sorin Oprescu selbst war bis 1988 mit Simona Fica, der Tochter des Direktors des Bukarester Universitätsspitals verheiratet. In den frühen 90er-Jahren wurde er Spitalsdirektor und stand dem rumänischen Ärzteverband vor, ab 1993 beriet er Gesundheitsminister Iulian Mincu, der schon unter Ceausescu aktiv war. Mincu war damals durch das berüchtigte „Programm zur wissenschaftlichen Ernährung", eigentlich die staatlich erzwungene Lebensmittelrationierung, also Hunger für viele, berühmt und berüchtigt.

Alter Kader am Vormarsch

1995 trat Oprescu der PSD bei. Spät, erst im Jahr 2000 erhielt er den Professorentitel. Nach Recherchen der Zeitung Cotidianul wiesen Oprescus Bewerbungsunterlagen allerdings gravierende Mängel auf und seine wissenschaftlichen Artikel enthielten mehrere Falschangaben.

Oprescu ist auch ein Beispiel dafür, dass die alten Kader angeführt vom Wendepräsidenten Ion Iliescu und Ex-Premier Adrian Nastase in der unreformierten Sozialdemokratischen Partei (PSD) wieder am Vormarsch sind. 2006 wollte Oprescu selbst die Führung der PSD übernehmen, doch damals kam der Reformer Mircea Geoana zum Zug. Bei den Parlamentswahlen am 30. November rechnet die PSD mit bis zu 40 Prozent der Stimmen. Und Iliescu, der Ehrenvorsitzende der PSD führt den alten Flügel an. Oprescu ist sein Leibarzt.„Iliescu kann aus dem Vorzimmer der Macht führen", beschreibt er die Rolle seines Förderers.

Sehr wahrscheinlich ist nach der Wahl eine Regierung mit der Nationalen Liberalen Partei (PNL) des bisherigen Premiers Calin Popescu-Tariceanu. Seit dem Zerbrechen der 2004 geschlossenen Koalition zwischen den Nationaldemokraten und der Demokratischen Union (PD) im April 2007 wird die PNL-Minderheitsregierung schon von den Sozialdemokraten unterstützt. Oprescu spricht sich für eine Fortführung aus: „Diese Koalition funktioniert besser als die auf der rechten Seite."

Keine kritische Reflexion

Kritik daran, dass die PSD bis heute keine kritische Reflexion der kommunistischen und postkommunistischen Vergangenheit ermöglicht, kennt er nicht. Im Gegenteil, alles, was bisher an Anklagen gegen prominente Sozialdemokraten vorgebracht wurde, etwa gegen Ex-Premier Adrian Nastase, bezeichnet Oprescu als „Verfolgung" .Nastase sei ein „Opfer der Revanche" jener Leute, die vor vier Jahren an die Macht kamen, gemeint ist die zerbrochene Koalition aus Demokraten (PD) und PNL. „Ein Teil der Justiz empfängt Befehle der Mächtigen", sagt der Bürgermeister. So argumentiert praktisch jede politische Partei in Rumänien, wenn einer der ihren vor Gericht kommt. Oprescu selbst war 2005 dran. Wegen Ungereimtheiten im Finanzmanagement wurde er von Gesundheitsminister Eugen Nicolaescu abgesetzt. Oprescu strengte dagegen ein Gerichtsverfahren an, gewann, kehrte aber nicht auf seinen Posten als Spitalsdirektor zurück.

Er hatte ohnehin genug zu tun. Premier Popescu-Tariceanu bemerkte einmal: „Es gibt einige prominente Fälle von Universitätsprofessoren, Senatsmitgliedern, Dekanen, Rektoren und Spitalsleitern. Ich glaube, nicht einmal Gott selbst schafft es, all dies gleichzeitig zu sein." Oprescu sieht das anders: Auf seiner Homepage gibt er an, „genug Zeit zu haben, um sechs Jobs zu machen". Das Institut für öffentliche Politik errechnete, dass Oprescu an fünf Prozent der Senatssitzungen teilnahm. (Adelheid Wölfl, Laura Balomiri, DER STANDARD, Printausgabe, 27./28. September 2008, Langversion)