Der Tod spielt mit der Sterbenden: "Spectacular"  von Forced Entertainment, als österreichische Erstaufführung zu Gast im brut.

Foto: Hugo Glendinning

So untot sich das Theater auch manchmal anfühlen kann - es erhebt sich immer wieder aus den größten Niederlagen, aus der gähnendsten Leere und wuchtet sich in eine neue Existenz zurück. So geschehen im letzten Jahr im neuen Wiener Koproduktionshaus brut. Das Theater ist dort, im Gebäude-Tandem Künstler- und Konzerthaus, mit neuer Energie wieder eingezogen und befindet sich seither vor Ort im regen Austausch mit anderen Kunstsparten.

In intensiver Vernetzungstätigkeit haben die beiden künstlerischen Leiter Thomas Frank und Haiko Pfost den Standort Wien für internationale Off-Produktionen attraktiv (oder gar erst bekannt) gemacht. Und im Zuge dessen die Mittelbühne nahe dem städtischen Zentrum einer Neudefinition unterzogen. Der interdisziplinäre Ansatz, den Frank und Pfost dafür gewählt haben, weitet erstmals den in Wien recht eng gehandelten Theater- und Performancebegriff und hält ihn, was das Schönste ist, ganz in Schwebe. Was durchaus für Überraschungen sorgt - oder Verwirrung: "produktive Verwirrung!"

Denn das Zueinanderführen von Kunstsparten hat nicht nur das Zueinanderführen von Publikum zur Folge, sondern auch jenes von Rezeptions- und Reflexionsgewohnheiten. Ein Austausch findet statt. Man trifft im Foyer am Karlsplatz erstmals Menschen, die sich in den letzten zehn Jahren in kein Wiener Theater verirrt hatten und nun mit sichtlichem Vergnügen Schwellenängste abbauen oder schlicht Neugierde verspüren.

Eine Adresse, die bündelt

Im städtischen Gefüge nimmt brut als Theater- und Performancebühne einen Platz ein, der unbesetzt war, der sich davor allerdings an den Programmrändern des Tanzquartiers bereits abzeichnete. Wiewohl - und das mit Nachdruck: Es mangelte nicht an künstlerischen Positionen, sondern an einer Adresse, die solche bündelt.

Anteil am Vitalisierungsprozess haben auch international angesagte Produktionen, die man hierzulande bisher vorwiegend nur zu Festivalzeiten zu Gesicht bekam. Im Rahmen des aktuellen Themenschwerpunkts "Kingdom of Darkness. Geister, Tote, Wiedergänger" , der in den nächsten Wochen das zweigeteilte Theaterhaus in den Bann finsterer Mächte ziehen wird, zeigen die mit Vorliebe ihr Publikum auch kulinarisch versorgenden Hamburger Performer von Showcase Beat Le Mot noch bis 27.September die österreichische Erstaufführung von Vote Zombie Andy Beuyz.

Was ein wenig nach Mythenmaschine frei nach Christoph Schlingensief klingt, ist in der Praxis tatsächlich eine installative Kunstlandschaft, in der die Wiedergänger Andy Warhol und Joseph Beuys hoch oben im Buchregal einen Kunst-Kaufmannsladen führen. Rundherum: jede Menge anderer Zombies. In der sich selbst verdauenden, d. h. ihre eigene Historie rücksichtslos einverleibenden Performance bleiben aber auch die Mägen des Publikums nicht unversorgt: ein Schokoladefondue sorgt für das körperliche Wohl.

Highlight aus Übersee ist im herbstlichen brut-Programm neben dem Nature Theater of Oklahoma (siehe Artikel unten) ein Gastspiel der legendären Gruppe Forced Entertainment aus Sheffield. Zwischen 7. und 9. Oktober zeigen sie die österreichische Erstaufführung von Spectacular im brut-Künstlerhaus. Die 1984 von Tim Etchells gegründete Formation gehört zur Speerspitze der internationalen Performance-Szene und hält sich nach wie vor als ausgemachter Liebling im Festivalbetrieb.

Mit entgrenzenden, vielstündigen Theaterarbeiten ("durational performances" ) haben Forced Entertainment (FE) selbst Theatergeschichte geschrieben und sich vor allem dem eigenen künstlerischen Veränderungsprozess über die Jahre offensiv ausgesetzt. Von Jessica bis Bloody Mess untersucht FE immer das, was wahr ist und was Spiel. Hans-Thies Lehmann bringt es auf den Punkt: "Weshalb Zeit mit Psychologie, Figurenzeichnung, gar Handlung und Entwicklung verlieren, wenn alles, was man über eine Figur wissen muss, auf einem Plakat Platz hat."

Das Sterben üben

In Spectacular, uraufgeführt im vergangenen Mai, mit den Kerngruppenmitgliedern Robin Arthur und Claire Marshall, ist es das versuchte Zusammenspiel zwischen dem Tod im läppischen Skelettkostüm und einer in verschiedenen Posen Sterbenden, das die Mittel des postdramatischen Theaters noch einmal wie eine retrospektive Lecture vor Augen führt.
Eine Sterbensübung praktiziert auch Daniel Aschwanden, der in der performativen Installation I wish I would play in this movie again den Ikonen des Todes aus Film und Fotografie choreografisch nachfühlt. (Margarete Affenzeller / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.9.2008)