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Ex-Premier Viktor Orbáns Minister stehen unter Verdacht.

Foto: AP/Bela Szandelszky

Budapest/Wien - Ungarn steht möglicherweise vor der Aufdeckung eines der größten Spitzelskandale seiner jüngeren Geschichte. Die Behörden in Budapest ermitteln gegen ein Privatunternehmen, die Firma für Vermögensschutz, "UD" , die laut Vorwürfen mehrere Ministerien, verschiedene Behörden und sogar das Amt für nationale Sicherheit bespitzelt haben soll.
Der ungarische Minister für Zivile Geheimdienste, György Szilvásy, spricht wörtlich von einem "Schattengeheimdienst" , den die "UD" betrieben haben soll. Das Amt für nationale Sicherheit ermittelt bereits seit Anfang des Jahres gegen das Unternehmen, seit vergangener Woche dringen erste Einzelheiten an die Öffentlichkeit.

Seit vergangenem Dienstag hat der Fall eine weitere Wendung bekommen: Das Unternehmen soll auch Aufträge zur Bespitzelung von Politikern angenommen haben. Unter den Betroffenen ist demnach die Chefin des oppositionellen Demokratenforums (MDF), Ibolya Dávid, sowie weitere Parlamentsabgeordnete und sogar der amtierende Wirtschaftsminister.
Selbst ohne diese Komponente birgt der Fall politischen Sprengstoff: "Laut den Verdachtsmomenten soll die Firma in mehrere Ministerien Mitarbeiter eingeschleust haben, um an Informationen und Staatsgeheimnisse heranzukommen" , sagt Károly Tóth, Abgeordneter der regierenden Sozialisten (MSZP), im Gespräch mit dem STANDARD.

Tóth sitzt in der Kommission für nationale Sicherheit im ungarischen Parlament und wurde in dieser Eigenschaft erstmals am Dienstag über Details des Falles unterrichtet. Welche Behörden genau unterwandert worden sein sollen, will Tóth mit Verweis auf seine Verschwiegenheitspflicht nicht bekanntgeben. Nur so viel: "Wenn es sich tatsächlich herausstellt, dass ein Privatunternehmen einen Schattengeheimdienst betreiben konnte, ist das die schwerste Erschütterung der ungarischen Demokratie seit der Wende" .

Die Polizei ermittelt jedenfalls auch wegen des möglichen Versuches der "UD" , Spionagesoftware auf Rechnern des Amts für nationale Sicherheit zu installieren. Zudem soll "UD" auch den Mail-Provider Origo angezapft haben, um an vertrauliche Mails zu gelangen. Das Unternehmen könnte auch versucht haben, an Sozialversicherungsdaten heranzukommen.
"Wir wurden bisher leider nicht darüber aufgeklärt, in wessen Auftrag diese Daten gesammelt wurden" , sagt József Gulyás, Abgeordneter der Liberalen (SZDSZ). "Es dürften aber sowohl geschäftliche als auch politische Interessen im Spiel gewesen sein."

Bei den politischen Interessen kommt die größte ungarische Oppositionspartei, die Fidesz unter Viktor Orbán, ins Spiel. Laut Geheimdienstminister Szilvásy - er gehört ebenfalls zu den Sozialisten - sollen zwei frühere Minister in der Regierung Orbán (1998-2002) selbst Aufträge zur Informationsbeschaffung an die "UD" erteilt haben. Die Vorwürfe richten sich unter anderem gegen Ex-Geheimdienstminister Ervin Demeter.

Demeter bestreitet, Aufträge an das Unternehmen vergeben zu haben, und spricht in einer Aussendung von einer politisch motivierten "Seifenoper" , die die regierenden Sozialisten inszenierten, um der Fidesz zu schaden. Auch die "UD" spricht von einer politisch motivierten Kampagne, weist alle Anschuldigungen zurück und droht mit Schadenersatzklagen.e Fortsetzung folgt jedenfalls heute, Donnerstag, im ungarischen Parlament: Da will Geheimdienstminister Szilvásy Mitschnitte von abgehörten Telefonaten vorlegen, die den früheren Fidesz-Minister Demeter schwer belasten sollen. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 25.9.2008)