Diese Glocke läutet das Treffen des CSU-Ortsverbandes ein. Sie sorgt auch für Ruhe, wenn die Diskussion zu laut wird.

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Treffen im Gasthaus Diegruber in Simbach am Inn.

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Die Hauptstadt ist weit weg. Im Landkreis Rottal-Inn wählen mehr als zwei Drittel CSU.

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Schwarze Runde.

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Reserl Sem (rechts) ist bereits eine der CSU-Landtagsabgeordneten. Damit sie es auch bleibt wird wahlgekämpft.

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Hier hielt früher auch der Orient Express. Die Bahn in Simbach war Arbeitgeber für 500 Menschen. Heute gibt es nur mehr Arbeit für eine Handvoll Beschäftigter.

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Der Kandidat der Grünen, Hans Feirer, ist wenn möglich mit dem Rad unterwegs. Er sagt, die Menschen würden eher nicht wählen, als ihre Stimme nicht der CSU zu geben.

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"Die Linke schafft den Einzug in den Landtag." Rudi Schöberl denkt positiv. Überzeugungsarbeit leistet er am Telefon. Bis zu 300 Anrufe schafft er an guten Tagen.

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So viel Wahlkampf auf so wenig Fläche. Überparteiliche Plakatwand in Pfarrkirchen.

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Die Kuhglocke läutet und die CSU-Ortsversammlung im niederbayerischen Simbach am Inn beginnt. Ungefähr 40 Parteimitglieder sitzen im Gasthof Diegruber in der Innstraße, nur wenige hundert Meter von der deutschen Staatsgrenze entfernt. Nur der Inn trennt das bayerische Simbach von Braunau in Oberösterreich. Im Diegruber sitzen am Montagabend die CSUler vor ihren Weißbieren und Apfelschorlen. Die holzvertäfelten Wände zieren Fotos vom örtlichen Trachtenverein, Hirschgeweihe und die Pokale des Simbacher Fischervereins. Das Durchschnittsalter der Besucher liegt um die 50. Sie sind heute gekommen, um Reserl Sem zuzuhören. Die 54-jährige vertritt seit 2003 den niederbayrischen Landkreis Rottal-Inn im Münchner Landtag. Damit das auch so bleibt macht sie Wahlkampf an der Basis. Sem trägt Dirnl, darunter eine weiße Bluse mit Spitzenabschluss an den Ärmeln. Um den Hals hat sei ein rosa-grün-weißes Trachtentuch geschlungen. Die rötlichen Haare sind kurz, die Brille ist randlos. Sie spricht breiten Dialekt.

Simbach gehört zum niederbayerischen Landkreis Rottal-Inn. Die Wahlergebnisse der CSU sind hier traditionell besser, als im bayerischen Durchschnitt. Bei den Wahlen im Jahr 2003 gaben mehr als zwei Drittel, genau 68,5 Prozent, ihre Stimme den Christlich Sozialen. In Simbach selbst wählten 64,7 Prozent CSU. Bayernweit kam die CSU auf 60,7 Prozent der Wählerstimmen.

Lichtblicke im schwarzen Universum

Aber die heile CSU-Welt in Simbach hat seit der Kommunalwahl im März dieses Jahres einige Risse bekommen. Die Partei ist von vierzehn auf zehn Mandate gefallen und hat auch den Bürgermeistersessel verloren. Bürgermeister der 9.981 Einwohner ist seither einer von UNS - von der Unabhängigen Neuen Liste Simbach. Schuld an der Wahlschlappe war eine „anti-CSU-Lawine", die einfach nicht mehr zu stoppen war, versucht CSU-Ortsparteichef Heinz Tietze zu erklären. Aber diese Lawine kam nicht von ungefähr. Der alte Bürgermeister habe sich eher wie ein Ortskaiser verhalten. Worte wie „monarchistisch" und „dominant" fallen an einem der Tische. An die Oppositionsrolle müssen sich die CSUler erst gewöhnen. Tietze beschwert sich, weil keiner der Bürgermeisterstellvertreter an seine Partei ging. Schließlich hätten sie auch der SPD immer einen Stellvertreter gegönnt, „obwohl wir es nicht hätten tun müssen." Ohne Mehrheit „sehen wir mal wie das ist in Opposition zu sein. Da gibt es wenige Möglichkeiten eigene Dinge umzusetzen", sagt Tietze wehmütig.

An diesem Abend soll es aber nicht um Simbach, sondern die Landtagswahlen am kommenden Sonntag gehen. Einer Wahl, die für Bayern durchaus das Ende einer Ära einleiten könnte. Seit 1962 refiert die CSU mit absolute Mehrheit im Freistaat. Umfrage nach Umfrage prophezeit für diese Wahl allerdings einen Absturz der CSU auf weniger als 50 Prozent. Ein solches Ergebnis würde das Ende der Alleinregierung der CSU bedeuten. Oder vielleicht doch nicht? In Bayern machen Zahlenspiele die Runde, wonach selbst 48 Prozent der Stimmen für die absolute Mandatsmehrheit reichen könnten. Vorausgesetzt die Linke schafft den Sprung über die Fünf-Prozent Hürde nicht und verpasst so den Einzug in den Landtag.

Kreuze in der Schule und linkes Teufelszeug

Aber darauf will sich Reserl Sem nicht verlassen. Die CSU sei eine Volkspartei, die sich „für viele Dinge verantwortlich fühlt." Eine Partei mit einem „christlichen Leitbild" und das sei wichtig, denn „wenn eine Nation ihre Religion verliert, hat sie verloren." Sem preist Bayern, also die CSU, und schimpft die anderen Parteien. Die Freien Wähler, eine überwiegend konservative Wählergemeinschaft, die heuer das erste Mal auf Landesebene antreten, seien zu frei, denn „es gibt nichts wo man nur frei ist." Von der SPD hätte sie sich mehr erwartet. Die FDP habe nur Wirtschaft im Programm. Mit den Grünen würde das Kreuz aus den Schulen verschwinden und islamische Feiertage eingeführt. Bei den Linken gehe es nur um Umverteilung. „Die würden selbst den Grund eines Bauernhofes umverteilen", malt Sem den klassenkämpferischen Teufel an die Wand.

Aber die Parteifreunde sind mehr als billiges Stimmvieh. Während der Rede von Reserl Sem platzt Elisabeth Willmann der Kragen. Die 85-jährige ehemalige Chefsekretärin erinnert daran, dass Sem für die Schließung des Simbacher Krankenhauses eingetreten ist. Unverständlich für die Simbacher, die um ihre medizinische Grundversorgung bangen. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Ort schon viele Einrichtungen der öffentlichen Hand verloren: Amtsgericht, Finanz- und Forstamt gibt es nicht mehr. Die Bahn war Arbeitgeber für 500 Menschen, heute sind es nur mehr eine Handvoll Beschäftigte am Simbacher Bahnhof, an dem einst sogar der Orient Express Halt machte. „Sie haben uns eh schon alles genommen", sagt Karl Schwinghammer. Aber deswegen nicht CSU zu wählen, kommt für den 66-jährigen ehemaligen Verwaltungsleiter im Altenheim nicht in Frage. Dass es Bayern so gut gehe liege allein an der CSU. Den SPD-regierten Ländern gehe um einiges schlechter.

CSU-wählen! Warum? Darum!

„Ein anständiger Bayer wählt CSU", verkündete der Ministerpräsident Günther Beckstein in einem Interview mit der "Passauer Neue Presse". Es ist dieser Sager, der das Selbstverständnis der CSU beschreibt. Bayern ist CSU und die CSU ist Bayern. Land und Partei sind eins. Die CSU glaubt sie habe es nicht mehr notwendig mit Themen im Wahlkampf zu punkten. In den Wahlbroschüren finden sich nur Portraitfotos und kurze Beschreibungen der Parteien. Wofür die CSU steht, was sie in der nächsten Legislaturperiode plant, bleibt unbekannt. „Für uns wieder in den Landtag" lautet die einzige Forderung.

„Ich weiß nicht, wie die CSU es geschafft hat zu solch einer Marke zu werden. Eigentlich müssten Marketing-Strategen aus aller Welt hierher kommen, um das zu studieren", sagt Hans Feirer. Der 48-jährige selbstständige Holztechniker sitzt seit den diesjährigen Kommunalwahlen für die Grünen im Gemeinderat in Kirchdorf am Inn. Er kandidiert auch bei den Landtagswahlen. Wie es sich für einen anständigen Grünen gehört, ist er die 25 Kilometer zum Gesprächstermin geradelt. Jetzt sitzt er im Eissalon am Stadtplatz der Kreisstadt Pfarrkirchen und sagt: „Die CSU und Bayern ist eins. Die tun ja grad so als hätten sie den Chiemsee ausgegraben und die Alpen aufgeschüttet." Die CSU sei eine Staatspartei in Bayern. „Es herrscht ein unglaublicher Filz hier - aber er beginnt langsam zu bröckeln."

Finanzskandale und wenig Lehrer

Der Skandal rund um die Bayerische Landesbank könnte noch tiefe Löcher in die Staatskassa reißen. Das seit Beginn dieses Jahres geltende Rauchverbot in Lokalen ist heftig umstritten. Das Prestigeprojekt der CSU, der Transrapid von Münchner Hauptbahnhof zum Flughafen, scheiterte an zu hohen Kosten. Es mangelt an Lehrern. Kurzum: Viele Bayern sind sauer. Aber es ist nicht gesagt, dass sie deswegen ihre Stimme nicht mehr der CSU geben. „Ich vermute, dass die Leute eher nicht zur Wahl gehen, als dass sie einer anderen Partei ihre Stimme geben", spekuliert Feirer. „Vielleicht is g'scheiter man geht gar nimmer hin", sagt eine ältere Dame an der Bushaltestellte. „Die versprechen an Haufn, aber das is alles utopisch". Ob sie diesmal ihre Stimme abgeben wird, lässt sie offen.

Der Herrgott sieht alles

Und selbst wenn jemand vorhat diesmal eine andere Partei zu wählen, könnte es sein, dass er sich in der Wahlkabine nicht traut. „Weil der Herrgott sieht ja alles, und dann könnte man direkt in die Hölle kommen", vermutet Feirer. Es ist fast so, als würden die Bayern glauben, der Himmel könnte ihnen auf den Kopf fallen, wenn in ihrem Land nicht die CSU regiert. In seiner Kindheit habe auch noch der Pfarrer in der Sonntagsmesse aufgerufen CSU zu wählen. Im Landkreis hofft er für die Grünen auf ein Ergebnis zwischen sechs und sieben Prozent. Die CSU wird in Rottal-Inn immer noch mehr als die Hälfte der Stimmen bekommen. Aber weniger als bei der vergangenen Wahl. Sein Tipp für ganz Bayern: die CSU rutscht unter 50 Prozent.

Dass sich diesmal etwas verändern könnte, glaubt auch Rudi Schöberl, der Kandidat der Linken aus Rottal-Inn. 30 Jahre lang war er bei der SPD engagiert. Als es aus Berlin hieß, dass das Rentenalter auf 67 hinaufgesetzt werden soll, hat es dem 53-jährigen Verkäufer von Photovoltaik-Anlagen gereicht. „Das war keine soziale Politik mehr". Seine neue politische Heimat hat er bei den Linken gefunden, die heuer das erste Mal bei den Landtagswahlen antreten. Laut Wahlprognosen werden sie am Sonntag knapp an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Aber Schöberl denkt positiv: „Wenn ich als Kandidat nicht daran glaube, wer dann". Um die potentiellen Wähler zu erreichen setzt Schöberl auf seine Überzeugungskraft. „Ich mache Werbung am Telefon. Ich rufe die Leute einfach an." Die Nummern sucht er sich aus dem Telefonbuch. An guten Tagen schafft er bis zu 300 Anrufe. Direkte Ablehnung sei selten. Besonders gut komme er bei den Jungen und den Senioren an.

Hubert und Irmgard Bienert warten im Pfarrkirchner Café Bonauer bis ihr Zimmer bezugsfertig ist. Die beiden kommen aus Prien am Chiemsee und wollen sich im sogenannten „Bäder Dreieck" rund um Bad Birnbach in einer Therme erholen. Sie werden CSU wählen. Warum? „Weil die anderen nix auf die Fiaß bringen". So einfach ist das. (Michaela Kampl, derStandard.at, 24.9.2008)