Antipopulistische Töne im Haus der Musik von Werner Beutelmeyer, Tatjana Lackner, Hubert Sickinger und Karl Aiginger, moderiert von Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid.

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"Geht's noch populistischer?", fragte Standard-Chefredakteurin Alexandra Föderl-Schmid beim Montagsgespräch - und Kommunikationsexpertin Tatjana Lackner antwortete ganz unpathetisch: "Na klar doch. Es geht immer noch populistischer. Aber die Frage ist doch: Wollen wir das auch?" Die Gäste am Podium im Haus der Musik tendierten stark zu einem Nein.

Bloß, die Subjekte des Populismus, die Politikerinnen und Politiker, wollten es in diesem Wahlkampf offenkundig ganz gern doch sehr populistisch, waren sich market-Meinungsforscher Werner Beutelmeyer, Politiker-Profilerin Lackner, Politologe Hubert Sickinger und der Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo), Karl Aiginger, Montagabend einig.

Wirtschaftsforscher sind ja irgendwie die natürlichen Antipoden populistischer Marktschreierei, dementsprechend machte Wifo-Chef Aiginger keine Anstalten, sein Unbehagen angesichts der laufenden Milliarden-Jongliererei im Wahlkampf zu verbergen. Aktueller Zwischenstand, das Wifo hat mitgerechnet: etwa vier bis sechs verplante Milliarden.

Dabei seien die wirklich wichtigen Themen gar nicht angesprochen worden. Auch, weil populistische Anwandlungen nicht nur in der Politik grassieren, sondern "in sehr vielen Bereichen", kritisierte Aiginger: "Ich sehe ihn bei Wissenschaftern, die auch Stellung nehmen zu Themen, von denen sie keine Ahnung haben. Ich sehe Populismus auch in den Medien, die klar zugunsten negativer Nachrichten selektieren." Beispiel? "Was Sie in den Medien nicht unterbringen, ist etwa, dass Österreichs Wirtschaft seit fünf Jahren schneller wächst als die europäische Wirtschaft." Steigende Inflation schaffe es allemal in den Titel.

Aiginger verlangt von der Politik die größere Perspektive: "Ich halte die Inflation nicht für das größte Thema, ich kann mir den Mund da aber fusselig reden. Nur, die wirklich wichtigen Themen sind nicht populär." Welche wären das? "Die Welt um Österreich hat sich massiv geändert, darauf muss man die Menschen vorbereiten. Wir waren bis jetzt Gewinner der Globalisierung. Politik sollte die Verlierer zu Gewinnern machen durch Ausbildung", so Aiginger. "Europa, alternde Gesellschaft, ökologische Reform - ohne Reform steigt die Temperatur auf der Erde um fünf Grad, das hält sie nicht aus. Das sind Themen, die man sich sagen trauen muss."

Auf dieser Schiene argumentierte auch market-Chef Beutelmeyer: "Populismus ist gut, nämlich dann, wenn man Wichtiges populär macht. Aber unliebsame, staatspolitische Entscheidungen brauchen Mut. Offenkundig haben wir einen Engpass an Mut in der Politik, aber keinen Engpass an Populismus." Der aktuelle Wahlkampf sei geprägt durch "kurzfristige, spontane Stimmungsmache, viel Populismus, aber wenig weitblickendes Denken. Es wird offenkundig nur bis zum 28. gedacht. Dahinter ist das schwarze Loch."

Bevor alles im schwarzen Loch versinkt, werden die Spitzenkandidaten jedoch noch von Jahrmarkt zu Jahrmarkt getrieben. Besonders wichtig, wenn auch nicht bei allen gleich beliebt, sind die Fernsehauftritte. Da wird duelliert und konfrontiert, im Anschluss analysiert und kritisiert. Für den Standard beobachtet Tatjana Lackner, Leiterin der Schule des Sprechens, die TV-Konfrontationen im ORF, und sie war aufgrund dieser Impressionen geneigt, den Titel des Montagsgesprächs umzuwandeln in "Geht's noch provinzieller?" - die Antwort ist wohl gleichlautend wie die in Sachen Populismus. Bestimmt. Aber, bitte, lieber nicht.

Auch die Rhetorik-Expertin betonte, dass Form ohne Inhalt nicht reicht, auch nicht in der Politik: "Wir sollten uns klarmachen, solange wir tagespolitische Geschichten wälzen, und der Planet draußen sperrt in der Zwischenzeit zu, ist es öde." Politik müsse vor allem den "97 Prozent Misserfolgsvermeidern Mut machen", die drei Prozent "Erfolgssuchenden" seien ohnehin eher nach vorn orientiert.

Was den "Show-Faktor" des Wahlkampfs und der handelnden Personen anlangt, zeigte sich die Seziererin der Politikersprache nicht gerade berauscht vom Gebotenen: "Inhaltlich ist dieser Wahlkampf sehr langweilig, weil's nicht um die Dinge geht, die wirklich wichtig sind. Und die Verpackung ist wahnsinnig banal. Ich war nicht ein Mal gethrillt von wegen Showeffekt und schicker Identifikationsikone." Selten seien "so wenig Ecken und Kanten spürbar" gewesen wie in diesem Wahlkampf.

Wenn schon keine Ecken und Kanten, dann wäre "Glaubwürdigkeit" empfehlenswert gewesen, sagte Meinungsforscher Beutelmeyer, denn: "Der Wahlkampf ist bestimmt durch Personen. Sie symbolisieren Inhalte. Und Glaubwürdigkeit ist das wichtigste Element gegen Populismus." Derzeit sei Österreich "am Höhepunkt des Populismus gelandet". Die market-Umfragen zeigten die Reaktion der Bevölkerung auf die Performance der Wahlkämpfer: "90 Prozent glauben nicht, was die Parteien versprechen." So entstehe im Windschatten populistischer Anwandlungen Unglaubwürdigkeit.

Oder "langfristig ein schaler Geschmack", wie Politologe Hubert Sickinger von der Uni Wien den populismusintensiven Wahlkampf für sich resümierte. Ihm ist in dieser "Wahlauseinandersetzung", wie es im Partei-Sprech gern heißt, eine "Neuigkeit" aufgefallen, quasi die ideentechnische Enteignung der Konkurrenz, indem sich etwa die SPÖ, geplagt vom "Trauma der Umfallerpartei", auf konservative Ideen gesetzt habe: "Die ÖVP wollte die 13. Familienbeihilfe, das wird jetzt beschlossen, vor der Wahl, um der ÖVP das Thema zu nehmen." Nach dem Motto: Ich nehm dir dein Wahlzuckerl und verteil es dann als meins. Mach den Menschen Freude und mir auch. Wenns auch noch zum "Verdecken des eigenen Umfallerimages" dient, kann's nicht schaden.

Wifo-Chef Aiginger hat aber noch nicht alle Hoffnung fahren lassen, dass nach dem Wahlkampf die Populismuskurve wieder abflacht. Er vertraut in die Rechenkompetenz der Bevölkerung: "Es ist etwas passiert: Das Geld ist knapp, und das ist den Bürgern mehr bekannt als den Politikern. Das ist vielleicht eine gute Basis für die Politik nach der Wahl." (Lisa Nimmervoll/DER STANDARD-Printausgabe, 24. September 2008)