Faymann wünscht sich eine "neue" große Koalition. Wieder mit der ÖVP, nur ohne Molterer und Schüssel. Falls die SPÖ am 28.September Nr. 1 bleibt, wenn auch auf niedrigem Niveau (so 30 Prozent), dann kriegt er das auch, glaubt er. Und dann das Team Faymann/Pröll. Oder so. Diese Version hätte den Segen des Hintermänner-Duos Häupl/Erwin Pröll und der Boulevardmedien. Der ORF würde sich wohl auch anschließen.

Warum erfrischt uns dieser Gedanke so wenig? Weil er altes Denken ist. Faymann outet sich einmal mehr als Anhänger einer vordergründigen "Gemeinsamkeits"-Philosophie, die auf das "Aushandeln im Hinterzimmer" setzt. Diese Art der Politik hatte, man kann es nicht oft genug wiederholen, ihre Meriten gehabt und hat sie zum Teil noch. Ein relativ kleines, relativ exponiertes Land wie Österreich kann sich scharfe Gegensätze, scharfe Kurswechsel, mangelnde Gesprächsfähigkeit unter politischen Gegnern nur schlecht leisten. - Wir haben uns diese Gesprächsfähigkeit mühsam erarbeitet, nach langen und schweren Irrungen.

Was aber bei Faymann völlig fehlt, ist eine klare Vorstellung, wie man die Ermüdungs- und Degenerationserscheinungen des Modells "große Koalition" vermeiden und überwinden könnte. In der "Pressestunde" am Sonntag war er relaxed, eloquent und argumentierte selbstsicher, schlagfertig. Aber sein Modell "Molterer und Schüssel müssen weg und dann wird alles gut und wir können weitermachen wie bisher" war und ist zu dürftig. Es kann auch so nicht funktionieren, weil erstens die ÖVP bescheuert wäre, wenn sie da mitmacht und zweitens die Zeiten nicht mehr danach sind.

Im Übrigen haben sich ÖVP und SPÖ echt auseinander entwickelt. Die Spaltung in der EU-Frage ist tiefer als man glaubt. Faymann kommt da nicht mehr heraus, dass er erstens mit der Krone und zweitens mit der FPÖ gemeinsame Sache macht. Die beiden hassen alles, wofür die EU steht: Weltoffenheit, internationale Zusammenarbeit, wirtschaftliche und gesellschaftliche Freizügigkeit. Wenn die SPÖ jetzt dem noch verschärften Antrag der FP zustimmt, so ist das klare Überschreiten einer Grenze.

Schwer überbrückbar ist auch die Kluft in der Wirtschaftspolitik. Die Faymann-SPÖ will Goodies an die kleinen Leute verteilen (gut abgesicherte Wiener Gemeindebedienstete gehören da auch dazu) und das Geld dazu mit einer Steuer auf wohlhabende Mittelständler holen. In der Molterer-ÖVP existieren noch Reste von "Sorgfalt des ordentlichen Kaufmannes" und Glauben an die soziale Marktwirtschaft (nicht an den Kapitalismus, das ist etwas ganz anderes). Allerdings war es der tödliche Fehler der ÖVP, zu lange nur die Großindustrie zu bedienen und die Steuersenkung auf 2010 hinauszuschieben.

Übrigens: Eine große Koalition unter einem VP-Kanzler, also unter Molterer, wäre wohl um eine Spur mehr von wirtschaftlicher Vernunft getragen - aber an der grundsätzlichen Abgenutztheit des Modells ändert sich wenig. Nicht einmal dann, wenn - wie einige in der SPÖ erwägen - die Grünen freiwillig in eine "Große" hineingenommen würden, um sie etwas aufzupeppen. (Hans Rauscher/DER STANDARD Printausgabe, 23. September 2008)