Anja Plaschg alias Soap & Skin veröffentlicht am Freitag die EP "Untitled". Live ist sie beim Festival Kontraste 08 - Seltsame Musik in Krems zu erleben.

Foto: Couch Rec.



Krems - Herzschmerz und Seelenpein haben in der Kunst immer Saison. Zwanzig Jahre nach ihrem Tod wird deshalb am 11. Oktober in der Londoner Royal Albert Hall ein "Tribute to Nico" veranstaltet. Das deutsche Model Christa Päffgen wurde in den späten 60er-Jahren als Nico in New York in der von Andy Warhol mitinitiierten Band The Velvet Underground zum Popstar. Zu einem dunklen Stern allerdings, einem, der das seltene Talent besaß, schwarz zu leuchten. Die morbide Aura, die vor allem Nicos Solowerk prägte, wird in London unter dem Titel "A Life Along the Border" von Größen wie Wegbegleiter John Cale und würdigen Fans wie Mark Lanegan oder James Dean Bradfield von den Manic Street Preachers neu beschworen.

Schon eine Woche zuvor wird sich im Kremser Klangraum Minoritenkirche Ähnliches zutragen. Anja Plaschg alias Soap & Skin wird ihre diesen Freitag erscheinende Debütveröffentlichung im Rahmen des Festivals Kontraste 08 vorstellen. Es ist dies die vier Stücke umfassende EP Untitled (Couch Rec. / Hoanzl), ein Longplayer wird Ende Jänner oder Anfang Februar folgen.
Wien-Hype, Teil zwei

Plaschg, Steirerin des Jahrgangs 1990, sorgt seit ihrem Auftauchen für den ersten Hype österreichischer Popmusik, seit die elektronischen Dancefloor-Größen Peter Kruder / Richard Dorfmeister oder Erdem Tunakan / Patrick Pulsinger in den mittleren 90ern für internationales Aufsehen gesorgt und den sogenannten Wien-Hype ausgelöst haben. Ob die Musik von S & S jedoch ebenso massentauglich wahrgenommen wird wie der gefällige Dancefloor von K & D, muss bezweifelt werden.

Plaschg, die seit eineinhalb Jahren als mittleres Genie gehandelt wird und deren Konzerte in deutschen Feuilletons für offene Münder und ausufernde (Liebes-)Erklärungsversuche sorgen, betreibt, allein am Klavier, unterstützt von behutsam eingesetzter Elektronik, einen Exorzismus an sich selbst, der nicht nur an die Grabgesänge von Nico erinnert. Plaschg covert auf Untitled auch den Nico-Song Janitor of Lunacy, während die Covergestaltung mit dem stilisierten Fahrrad auf Nicos trauriges Ende verweist, die 1988 auf Ibiza nach einem Radunfall 49-jährig starb.

Das Fach "Brüchige Lieder", für das Soap & Skin bei Kontraste - Anhang: "Seltsame Musik" - gebucht wurde, scheint wie für sie geschaffen. Dabei ist das Seltsame, das Eigentümliche an ihrer Kunst die Klarheit - um den katholischen Begriff Reinheit zu vermeiden -, mit der Plaschg zu Werke schreitet. Als verwundbare Seele durchmisst sie am Klavier mit starker Stimme die Schrecken des Daseins, von denen man kaum vermuten (geschweige denn hoffen) würde, dass sie ihnen bereits je nahekam.

Damit scheint sie in ihrem Publikum etwas zum Schwingen zu bringen, das eine kollektive Erfahrung sein könnte. Ein Gefühl der Verlorenheit, das die meisten Menschen kennen und das dieser Teenager mit weitgehend teenagerfreier Authentizität gruselig und schön zugleich vertont.
"Avant-Garage"

Auch der gute Rest von Kontraste 08 bietet Erstaunliches. In weiteren Fächern mit Titeln wie "Schöne Stimmen", "Bewegter Klang" sowie "Elektro-Sterne" versammeln sich bekannte und weniger bekannte Namen mit verwegenen Klangkonzepten zwischen Rock, Avantgarde und experimenteller wie auch popaffiner Elektronik. Die Klanginstallation "Theremin Pendulum" des Kanadiers Gordon Monahan wird während der gesamten Festivaldauer zu erleben sein.

Eröffnet werden die Kontraste 08 am 3. Oktober mit Nicolas Baginskys Roboter-Band The Three Sirens. Drei Roboter hat der Hamburger gebaut und programmiert, die Gitarre, Bass und Miniatur-Schlagzeug bedienen. Und zwar so holprig, dass sie einerseits Mitleid beim Betrachter auslösen sollen, andererseits das Trauerspiel so mancher fleischlicher Rockbands verüberdeutlichen. Weshalb The Three Sirens am Abend der "Brüchigen Lieder" gleich noch einmal zum Einsatz kommen - vor Anja Plaschg und den US-amerikanischen Proto-Punks der selbsternannten "Avant-Garage"-Band Pere Ubu aus Cleveland, Ohio.

Zum Thema "Bewegter Klang" wird unter anderem Cosmic Pulses gegeben, eines der letzten Werke des im Dezember des Vorjahres verstorbenen Karlheinz Stockhausen. Überlagerungen von Stimmen werden zum einzigen Noise-Music-Stück dieses Visionärs aufgeschichtet. "Elektro-Sterne" bietet wiederum Auftritte der deutschen Krautrock-Gründerväter Faust und Cluster - inklusive der Cluster-Mitbegründer Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius sowie einer Darbietung des Hamburger Electronic-Musikers Felix Kubin. (Karl Fluch, DER STANDARD/Printausgabe, 22.09.2008)