Was ein schüchterner Griff alles anrichten kann: Virginie Ledoyen und Emmanuel Mouret, der in "Küss mich, bitte!" auch Regie führte.

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Wien - Ein Kuss ist eine Tat mit unberechenbaren Folgen. Emilie (Julie Gayet) und Gabriel (Michaël Cohen) lernen sich bei einer Geschäftsreise kennen und verbringen den Abend gemeinsam. Sie verstehen sich auf Anhieb gut, es könnte der Anfang einer Liebesgeschichte sein. Doch Emilie zieht rasch eine Grenze und verweigert sich dem ersten Kuss. Ihre Begründung liefert Emmanuel Mourets Film Küss mich, bitte! (Un baiser, s'il vous plaît) erst die eigentliche Handlung: die Geschichte eines Kusses, dem nachhaltige Gefühlswirrungen folgten.

Mouret, Jahrgang 1970, ist unter den französischen Filmregisseuren eine ungewöhnliche Erscheinung. In seinen leichthändig inszenierten Komödien rund um die Beziehungsnöte von Thirtysomethings variiert er stets die Rolle eines nervösen, leicht unbeholfen wirkenden Mannes. Auch den Mathematiklehrer Nicolas, den Protagonisten seines vierten Langfilms, verkörpert er selbst. Dieser wurde vor einiger Zeit verlassen und hat seitdem den Anschluss an die Welt der Frauen verloren.

Schuld an seiner Einsamkeit gibt Nicolas seiner Unbedarftheit. Er würde deswegen gern wieder ein wenig üben. Seine beste Freundin Julie (Virginie Ledoyen) schlägt ihm vor, es bei einer Prostituierten zu versuchen. Als dies scheitert - Prostituierte küssen nicht, und ohne Kuss geht's bei Nicolas nicht -, wagen die beiden ein Experiment: Im besten Einvernehmen, aber mit Anzeichen von Scham riskieren sie es, miteinander zu schlafen. Der Freundschaftsdienst zeitigt freilich unerwartete Folgen.

Doppeltes Begehren

"Ich wollte über Personen erzählen, die meinen, alles wissenschaftlich erklären zu können, dann aber mit einem Phänomen konfrontiert werden, das sich der Kontrolle der Vernunft entzieht", erläutert Mouret im Standard-Interview seine Motive. "Das Begehren lässt sich nicht rationalisieren. Es hat seine eigene Logik." Küss mich, bitte! wird zur Komödie, weil den Vernunftmenschen diese Einsicht fehlt. Sie geben sich der Leidenschaft hin, ohne sie zu begreifen, und versuchen sie mit Worten zu beschreiben, als ob sie nicht Teil von ihnen selbst wäre.

Im Mittelpunkt des Films stehe aber auch eine alte Frage aller Moralisten, so Mouret: "Wie lässt sich das körperliche Begehren mit jenem der Vernunft in Einklang bringen, wie lässt sich lieben, ohne dass jemand daran Schaden nimmt?" Küss mich, bitte! antwortet darauf mit den Mitteln der Burleske, die eine Folge delikater Verwicklungen und Kalamitäten produziert. Weil die bürgerlich-dezente Julie verheiratet ist, agieren die beiden Liebenden mit größter Zurückhaltung. Selbst wenn sie an den Fundamenten ihrer Existenz rütteln, zeigt sie Mouret noch tugendhaft verschämt.

"Nicolas ist eine Figur, die zugleich verwegen und verlegen ist. Er trägt den Kampf zweier Begehren aus: Er geht sozusagen zugleich vor und zurück - und das lässt einen leicht stolpern" , meint Mouret über seine Figur. Die Ungeschicklichkeit von Nicolas ist ein Versatzstück klassischer Hollywoodkomödien, deren eleganten Gestus der Regisseur verehrt. "Es war die Ära der Gentlemen. Auch wenn es in US-Komödien der 40er- und 50er-Jahre selten tollpatschige Menschen waren, die schöne Frauen abbekamen, sprach mich ihr Außenseitertum an."

Sie haben Mouret auch eine Moral geliefert: "Sie mögen noch so oft hinfallen, sie stehen immer wieder auf." Nun lässt er ihnen späte Gerechtigkeit widerfahren und sie auch in Liebesdingen siegen. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD/Printausgabe, 20./21.09.2008)