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Zipi Livni nimmt trotz knappen Siegs die Herausforderung an und will eine neue Regierung bilden.

Foto: epa

Zipi Livni ist am Ende doch die neue Chefin der Kadima geworden, aber eine Nacht, die wie ein Aufbruchsfest für Israels größte Parlamentspartei begonnen hatte, endete in Enttäuschung und Verlegenheit. Der Hauptgrund dafür war ein Debakel der Hochrechner, die einen überwältigenden Erfolg der Außenministerin verkündeten, aber völlig danebentrafen. Am Schluss lagen ganze 431 Stimmen zwischen Livni und ihrem stärksten Rivalen, dem rechtslastigen Verkehrsminister Shaul Mofas.

Das Lager von Mofas beschwerte sich wütend über "Fälschungen und Stimmendiebstahl", verzichtete aber letztlich auf eine Anfechtung. Nach nervenaufreibenden Stunden konnte sich Livni dann am Donnerstag um 6.15 Uhr Früh vor ihrem Haus in Tel Aviv den Mikrofonen stellen und mit matter Stimme feststellen, dass die Kadima sich für "eine andere Politik" entschieden habe: "Ich werde mich schon ab morgen mit den Parlamentsfraktionen treffen, um rasch eine Koalition zu bilden, die sich den Herausforderungen stellt."

Bei der Schließung der Wahllokale hatten drei verschiedene Umfrageinstitute, die von den drei israelischen Fernsehkanälen angeheuert worden waren, unabhängig voneinander befunden, dass Livni 47 bis 49 Prozent bekommen habe, während Mofas bei nur 37 Prozent lag. Livnis Lager jubelte, die Mofas-Anhänger wurden blass, die Medien in Israel und in der Welt feierten Livni als neue politische Hoffnung und zukünftige Ministerpräsidentin. Doch als nach und nach die echten Auszählungsergebnisse eintrafen, entwickelte sich ein ganz anderes Bild.

Plötzlich war nicht mehr von einem Erdrutschsieg die Rede, sondern von einem Fotofinish. Gegen zwei Uhr Früh hieß es im Umfeld von Mofas sogar, dass er und nicht Livni gewonnen habe. Schließlich rettete sich Livni gerade noch mit dem hauchdünnen Vorsprung von 43,1 gegen 42,0 Prozent ins Ziel. Mitarbeiter von Mofas beklagten Unregelmäßigkeiten, die angesichts des knappen Ausgangs vielleicht entscheidend waren - so war die Schließung der Wahllokale um eine halbe Stunde hinausgeschoben worden, und die Hochrechnungen wurden zu früh veröffentlicht. Die Freude bei Livni war jedenfalls gründlich verdorben: Sie verzichtete auf die im Wahlhauptquartier geplante große Siegesrede, mit der sie alle Parteigranden hinter sich versammeln wollte.

Für nächste Woche wird nun der Rücktritt von Premier Ehud Olmert erwartet, danach dürfte Livni von Präsident Shimon Peres den Auftrag zur Regierungsbildung bekommen. Die zwei zentralen Koalitionspartner der Kadima, Arbeiterpartei und religiöse Shass-Partei, signalisieren, dass sie die Zusammenarbeit nicht unbedingt fortsetzen wollen. Wenn die Koalitionsverhandlungen scheitern, wird es Anfang 2009 Neuwahlen geben. (Ben Segenreich aus Tel Aviv/DER STANDARD, Printausgabe, 19.9.2008)