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Nur 10.000 der 26.000 Mitarbeiter von Lehman Brothers in den USA werden vom neuen Eigentümer Barclays übernommen.

Foto: AP/Sang Tan

Den erfolgsverwöhnten und hochdotierten Bankern, Brokern, Analysten und Tradern an der Wall Street sind die Ereignisse der letzten Tage in die Knochen gefahren. Wie jeder Arbeitnehmer fürchten auch sie um ihre Jobs.

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New York - "Bis Dienstag, 17 Uhr, dachte ich, ich würde meinen Job verlieren" , erzählt Nic, ein junger Banker bei Lehman Bros., das nach dem Insolvenzantrag seiner Holdingfirma bereits knapp vor dem Aus stand. "Ich habe den ganzen Tag mit Headhuntern telefoniert und nach Jobs für mich und Kollegen gesucht." Ausländische Banker, die mit ihren Lehman-Jobs auch ihre Arbeitsgenehmigung verloren hätten, hatten sich bereits auf eine Rückkehr in ihre Heimat vorbereitet, sagt er.

Aber dann kam Barclays Präsident Robert Diamond ins Lehman-Hauptquartier auf der 7th Avenue nahe Manhattans Times Square und kündigte die Übernahme weiter Teile von Lehmans US-Geschäft an. "Alle waren so glücklich" , sagt Nic. "Wir haben im Büro 'God Save the Queen' gespielt." New Yorks Investment-Banker beginnen wieder, die grundlegenden Dinge schätzen zu lernen. Denn nach Tagen der Unsicherheit atmeten am Dienstagabend zumindest Teile der Beschäftigten der Wall Street auf - allerdings betont leicht und kurz. Zu groß bleibt vorerst die Unsicherheit über die Zukunft der Wall Street und ihrer verbleibenden Institutionen.

"Ich bin froh, dass wir positive Zahlen berichtet haben" , sagt Alex von Morgan Stanley, das Dienstagnachmittag - einen Tag früher als erwartet - eine geringere Reduktion seines Vierteljahres-Gewinns als befürchtet vermeldete. "Positiv nur in dem Sinn, dass wir keine Verluste hatten" , fügt er hinzu.

Nach der Börsen-Panik der letzten Tage und dem rasanten Umbruch an der Wall Street befragt, hat Alex so schnell keine Erklärung parat. "Es ist ziemlich erstaunlich" , sagt er nur. Angst und Chaos waren die anderen Worte, die hier am Sonntag und Wochenanfang viele zur Beschreibung der Stimmung im Auge des Sturms der sich ausbreiteten Finanzkrise verwendet hatten. "Kollegen in der Bank laufen herum wie aufgescheuchte Hühner" , erzählte etwa ein Banker.

Gerade bei Lehman gab es vor dem Barclays-Deal immer wieder emotionale Szenen, sagt ein Sicherheitsbeamter, der den Eingang der Bank überwacht. "Wir haben Frauen weinen sehen und auch Männer" , sagt er. "Selbst wenn man so viel Geld verdient, ist es hart, seinen Job zu verlieren." Und Jobs haben heuer bereits genügend Banker hier in Manhattan verloren. Vielleicht überraschend für viele, berichten die, die es bereits erwischt hat, oft, zu Wall-Street-Jobs zurückkehren zu wollen.

Anthony DiClemente war etwa bis zum Wochenende Lehmans Unterhaltungsindustrie-Analyst. Am Montagmorgen sandte er an Businesspartner und Freunde in der Branche eine voraufgezeichnete Telefonnachricht zum Abschied, der - wie er betonte - hoffentlich nur temporär sei. "Ich hoffe, meine Karriere als Analyst weiterzuführen" , sagte er auf dieser Message.

Nic ist froh, dass er seinen Job nach all seinen Befürchtungen doch nicht verlassen muss - zumindest vorläufig nicht. Mit seiner Stimmung schien Dienstag um 21.50 auch die Lage vor dem Lehman-Hauptquartier wieder fast normalisiert. Männer in Anzug gingen noch vereinzelt ein und aus. Und japanische Touristen machten Fotos von seiner videowandartigen Fassade, die unter anderem Videos von Naturgewalten wie Meereswellen zeigt.

Aber nach Feiern war Nic am Dienstagabend doch nicht ganz zumute. Er wollte am nächsten Morgen für die Arbeit ausgeschlafen sein. Denn er war beeindruckt von etwas, das der Barclay-Präsident gesagt hatte und das sich seiner Meinung nach die Wall Street insgesamt zu Herzen nehmen sollte: "Gehen wir wieder an die Arbeit und machen Geld." (Georg Szalai, New York, DER STANDARD, Print-Ausgabe,18.9.2008)