Oliver Barker hatte bereits 2004 den Pharmacy-Sale geleitet, jetzt spielte er im Auftrag Damien Hirsts 110 Millionen Pfund für 223 Kunstwerke ein.

Foto: Sotheby's

Die Analyse einer Jahrhundertauktion.

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London - Beautiful inside my head forever - mit der Betitelung dieser bislang einzigartigen Auktion hatte Damien Hirst vorausahnendes Geschick bewiesen. Einnahmen in der Größenordnung von mehr als 95 Millionen Pfund blieben wohl jedem und ein Leben lang in Erinnerung - noch mehr, wenn dies zeitgleich zu einem Kollaps des internationalen Finanzmarktes passiert. Innert zweier Tage spielten 225 seiner Kunstwerke bei Sotheby's in London 111,46 Millionen Pfund bzw. umgerechnet 140,16 Millionen Euro ein, nur fünf Arbeiten blieben vorerst unverkauft.

Ein Erfolg, der wiederum keines prophetischen Talents bedurfte. Denn er war und ist ja gewissermaßen Teil des ganzen Spektakels, das ohne die übliche Transparenz auskommen muss. Und gerade deshalb ist ein Was-wäre-wenn-Ansatz verlockend. Man stelle sich nur vor, der Markt hätte dieser Flut nicht standgehalten, die Nachfrage wäre deutlich unter den Erwartungen geblieben. Ein Crash für die fiktive Hirst-Aktie, eine Bauchlandung für den Selbstvermarkter. Zitiert nach Günter Brus wäre der Kapitalistendadaist auf seinen aufgeblähten Souvenirartikeln sitzengeblieben. Die Pessimisten hätten einen Beleg für die angesichts des Hypes für zeitgenössische Kunst ewig prognostizierte und damit endlich geplatzte Blase.

Für Sotheby's wäre diese eine von jährlich durchschnittlich 350 weltweit abgehaltenen Auktionen halt weniger gut gelaufen, wie sie sich trotz des gigantischen Umsatzes und des verprassten Werbebudgets ohnedies nur bedingt zu Buche schlagen wird. Denn eines ist klar, für Damien Hirst haben die üblichen Einbringerbedingungen nicht gegolten. Wie viel Sotheby's tatsächlich von diesem fetten Kuchen abbekommen wird? Exakt die Provision, die man als Käufer bezahlt. Allein für die zehn höchsten Zuschläge der beiden Sitzungen am Abend des 15.September und dem Day-Sale am 16.September kassiert Hirst demnach 36,65 Millionen Pfund, Sotheby's über die Vermittlungsgebühr 4,8 Millionen Pfund.

Am Beispiel des neuen Rekordwerks The Golden Calf bemessen: Für das in Formaldehyd konservierte Vieh mit vergoldeten Hufen und Hörnern muss der anonyme Telefonbieter jetzt 10,34 Millionen Pfund lockermachen, Sotheby's behält sich 1,14 Millionen ein und wird auf Damiens Konto schlanke 9,2 Millionen Pfund überweisen.

Und hier beginnt das Was-wäre-wenn-Kapitel 2: Man denke an den auch schon legendären Deal rund um den mit Diamanten besetzten Totenschädel (For the Love of God), den eine Investorengruppe für kolportierte 75 Millionen Euro erwarb. Sowohl Damien Hirst als auch sein Galerist Jay Jopling (White Cube/London) waren laut Medienberichten Teil dieser Investorengruppe. Hirst versteht sich als Marke, die Frage ist also: Wie viel ist ihm als Künstler die Pflege dieses Images wert? Montagabend war er bei der Auktion nicht anwesend. Ein Schelm, wer denkt, er hätte von seinem Atelier aus den (Rück-) Kauf seiner Kunst dirigiert und womöglich seinen eigenen Künstlerweltrekord inszeniert.

Denn wer die Käufer sind, geben Auktionshäuser nicht bekannt, es sei denn, der Käufer wünscht dies. In den offiziellen Listen der 20 höchsten Zuschläge der beiden Sitzungen notierte man zweimal den europäischen Handel, dort findet sich achtmal der Hinweis "Private Collector" und neunmal der Vermerk "anonym" . Zu letzterer Fraktion könnte sich auch Gagosian zählen; als einer der beiden Hirst-Galeristen hatte er bereits im Vorfeld angekündigt, sich als Käufer an der Auktion zu beteiligen.

Pannenhilfe, falls der Mangel an Nachfrage aus dem Ruder läuft? Bislang standen weder Jay Jopling noch Gagosian für eine Stellungnahme zur Verfügung - vielleicht auch, weil man sich fieberhaft eine Strategie für den stattlichen Lagerbestand an Hirst-Werken überlegen muss. Allein White Cube sitzt auf 200 Werken, laut dem englischen Fachmagazin The Art Newspaper im Wert von rund 100 Millionen Pfund. Preislich sind diese zum Teil deutlich höher angesetzt, als man nun für vergleichbare Skulpturen und Gemälde in der Auktion bezahlen musste.

Seit dem Pharmacy Sale 2004 - damals gelangte das komplette Inventar eines von Hirst gestalteten Restaurants bei Sotheby's unter den Hammer - hat sich auch die Meinung des Künstlers über den Auktionsmarkt drastisch gewandelt. Und diese demokratische Vertriebsschiene wusste er immerhin als Erster für sich zu nutzen - frei nach dem Motto "Chancengleichheit für meine Sammler, meine Galeristen und auch andere - soll sich der Markt doch um meine Kunst prügeln". Keine Frage, dass sich nur wenige und nur bereits international arrivierte Künstler diesen direkten Weg leisten können. Die Mehrheit wird auch weiterhin nicht ohne die Aufbauarbeit des Handels und ohne die damit verbundene Entwicklung am Primärmarkt das Auslangen finden.

Für Sotheby's war es - vor allem gemessen an der Werbewirksamkeit - jedenfalls ein Jahrhundertdeal. Wie an dieser Stelle prognostiziert, blieb in der Liste der zehn höchsten weltweit eingespielten Auktionsergebnisse für Damien Hirst kein Stein auf dem anderen. Sotheby's hat nun in mehrerlei Hinsicht die Führung übernommen, hält nun nicht nur den Rekord, sondern mit acht Platzierungen auch die absolute Mehrheit. Dafür hatte man sich auch entsprechend ins Zeug gelegt und sogar neue Marketingschienen einzusetzen verstanden.

Als erstes Auktionshaus der Welt nutzte man etwa den YouTube-Channel und platzierte dort - gratis, aber tatsächlich nicht umsonst - sechs Kurzfilme mit Interviews der beiden verantwortlichen Experten Cheyenne Westphal und Oliver Barker sowie Einblicken in die erstmals sämtliche Ausstellungsräume der London-Niederlassung in der Bond Street umfassenden und bislang größte Damien-Hirst-Ausstellung der Welt überhaupt. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD/Printausgabe, 18.09.2008)