Wandern zur Leobner Hütte in einer Ansichtssache.

Foto: Mirjam Harmtodt

Durch das geöffnete Küchenfenster der weiß gekalkten Hütte tönt "No woman, no cry". Auf der Terrasse liegt "Chief", ein Hund, der eher an einen afrikanischen Löwen erinnert denn an ein domestiziertes Tier. "Unser Baby ist jetzt fast ein Jahr alt", erzählen Stefan Schlager und Erik Pichl, sie kraulen dabei dem hüfthohen Hund die Ohren und zeigen auf die Leobner Hütte. Die beiden Hochbautechniker aus Niederösterreich haben hier einen Lebenstraum verwirklicht, der von vielen Wanderern erst einmal verdaut werden muss.

Seit Oktober 2007 sind sie die neuen Wirte der ehemalige Knappenhütte, die in den 1920er Jahren als Wanderhütte den Betrieb aufnahm. Und sie wollen es zumindest die nächsten zehn Jahre auch bleiben. "Wir wohnen hier das ganze Jahr über auf 1.582 Meter und sind damit die höchstgelegenen Bewohner von Vordernberg", weiß Stefan. Mit 24 beziehungsweise 27 Jahren sind sie wohl auch die jüngsten Hüttenwirte Österreichs.

Ihrer Jugend haben sie ausgiebig Ausdruck verliehen und das Haus einer völligen Verwandlung unterzogen. Die Leobner Hütte ist schon durch viele Hände gegangen, jeder Wirt hat ihr seinen persönlichen Stempel aufgedrückt. Bei Stefan und Erik ist das nicht anders. So sind im Oktober die vergilbten Gipfelfotos und Kreuzstichstickereien von den Wänden verschwunden - aus dem Herrgottswinkel strahlt jetzt Bob Marley in die Gaststube. Australische Schnitzereien und indische Tücher sorgen für Irritation unter jenen, die zum ersten Mal einkehren und die Reaktionen ähneln sich: Der fragende Blick in die Küche und das ungläubige Staunen über die jugendlichen Wirte endet aber zumeist in einem Kompliment für die harte Arbeit, die die beiden leisten.

Haarsträubende Vorurteile

„Man hat uns nicht zugetraut, dass wir es hier heroben schaffen", sagt Erik. Als sie den Betrieb aufnahmen, trugen beide Rastalocken, was nicht unbedingt für mehr Vertrauen unter den Besuchern sorgte. „Aber die Haare haben wir uns erst geschnitten, als wir merkten, dass die Leute uns akzeptieren. Und weil sich Hütten- und Haarpflege zeitlich einfach nicht unter einen Hut bringen lassen", ergänzt Stefan.

Neben einer Reihe von Vorurteilen, mit denen sie sich konfrontiert sahen, gab es auch Zweifel an der Ernsthaftigkeit ihres Vorhabens. Die beiden haben mit anhaltender Begeisterung weitergemacht. Heute werden sie mehr und mehr von jungen Wanderern besucht, aber gleichzeitig hält auch das ältere Publikum der Hütte die Treue.

Selbst das alpine Brett'ljausenbild hat hier vor einem Jahr einen Sprung bekommen. Mit Leidenschaft rollt Erik die Tiroler Fleischknödel für die Suppe und Stefans Hände stecken bis zum Ellbogen im Brotteig. Handgemacht ist hier schon deshalb vieles, weil der Strom ausschließlich von einer kleinen Fotovoltaikanlage kommt, die gerade ausreicht, um Bob Marley am Singen zu halten.

Wohnzimmer mit System

So knistert in der Küche der Holzofen und am Plumpsklo pfeift der Wind durch die Ritzen. Trotzdem - oder vielleicht auch gerade deswegen - steigt die Zahl der Stammgäste. "Die Hütte ist unser Wohnzimmer, Gäste sind wie lieber Besuch. Aber weil wir keine Millionäre sind, wird für Essen und Getränke bezahlt", erklärt Erik das System. Dieses Wohnzimmer ist an schönen Tagen selten leer, bei Schlechtwetter verirrt sich der eine oder andere hier her, um sich aufzuwärmen oder zu stärken.

Möglich ist das bis 22 Uhr, wer länger bleiben will, übernachtet im Matratzenlager. Die Fenster sind undicht, das Dach ist es auch, die gesamte Hütte bedarf einer dringenden Renovierung. Noch für die Zeit vor dem Wintereinbruch hat der Österreichische Alpenverein als Eigentümer der Hütte deshalb die wichtigsten Sanierungsarbeiten zugesagt. Bessere Energie- und Wasserversorgung oder gar Duschen sind noch in Planung und bleiben eine Frage der Finanzierung, denn rund 500.000 Euro würde die Totalsanierung kosten.
Spätestens beim Blick von der Sonnenterrasse haben die meisten Gäste das zugige Zimmer vergessen. Im Vordernberger Tal hängt dicker Nebel, die Berge rundum leuchten in blassem Rosa, bis schließlich die Sonne hinter der Leobner Mauer aufgeht und die Lufttemperatur schlagartig um ein paar Grad ansteigt. Wenn sich der Dunst lichtet und die Sicht bis zur Gleinalpe reicht, beginnen die Wanderer nervös zu werden: Die Leobner Hütte liegt inmitten von beliebten Tourenzielen wie Griesmauer, TAC-Spitze oder Polster.

Während die letzten für eine schnelle Katzenwäsche mit dem vier Grad kalten Quellwasser im Waschraum verschwinden, treffen bereits die ersten Frühstücksgäste ein, um sich vor dem Aufstieg mit heißem Tee oder Kaffee zu wärmen. Mit karibischem Rhythmus in den Beinen fallen die ersten Schritte leicht. Eingekehrte, und vermehrt auch "bekehrte" Wanderer danken es Erik und Stefan mit Komplimenten und oft auch mit Schokolade oder einer aktuellen Tageszeitung aus dem Tal. (Mirjam Harmtodt/DER STANDARD/Printausgabe/20./21.9.2008)