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Jean-Claude
Juncker ist skeptisch: Der EU-Reformvertrag komme erst mit großer Verspätung, meint er.

Foto: EPA/Bouvy

Der Vertrag von Lissabon werde frühestens 2010 in Kraft treten, sagte Luxemburgs Premier Jean-Claude Juncker. Behält er recht, müssen schon im nächsten Halbjahr wichtige Entscheidungen getroffen werden.

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Am 12. Juni haben die Iren den EU-Reformvertrag abgelehnt. Seither galt es als ambitioniertes Ziel, den Vertrag in einigen Punkten zu ändern - so könnte jeder Mitgliedstaat "seinen" Kommissar behalten - und ihn den Iren noch vor den EU-Wahlen im Juni 2009 wieder zur Abstimmung vorzulegen.

In den vergangenen Wochen kamen aber von der irischen Regierung bereits Signale, dass sich dieser Zeitplan nicht ausgehe, die Stimmung im Land sei zu schlecht. Und am Mittwoch meinte der Regierungschef von Luxemburg, Jean-Claude Juncker, zu einer neuerlichen Abstimmung in Irland:"Ich glaube nicht, dass es vor 2010 realistisch ist."

Eine wichtige Rolle dürfte dabei auch die aktuelle Finanzkrise spielen: "Wenn ich der irische Premierminister wäre, würde ich in den nächsten Monaten kein Referendum abhalten, nicht zuletzt wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation" , sagte Juncker, der als Favorit für den neuen Posten eines EU-Präsidenten galt - eine dauerhafte Vertretung der EU nach innen und außen, die es nun vermutlich noch längere Zeit nicht geben wird.

"Ich glaube wir sollten jetzt nichts überstürzen" , sagte auch EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner in Reaktion auf Juncker. Die anderen EU-Länder sollten beim Gipfel im Oktober dem irischen Premier zuhören. "Die Iren sollten uns den Weg weisen" , sagte Ferrero-Waldner.
Auf die EU-Kommission und das EU-Parlament kommen allerdings einschneidende Änderungen zu, wenn der Vertrag von Lissabon nicht vor den EU-Wahlen im Juni in Kraft tritt.

In diesem Fall gilt der Vertrag von Nizza weiter. Und dieser sieht vor, dass die Kommission mit derzeit 27 Mitgliedern verkleinert werden muss. "Weniger Kommissare als Mitgliedstaaten" , heißt es im Vertrag. Und dieser kann als geltendes Primärrecht auch nicht mit einem Beschluss der Staats- und Regierungschefs geändert werden, sondern müsste auch noch in allen Mitgliedstaaten neu ratifiziert werden. "Ein Unding" , meinte dazu ein hoher Diplomat in Brüssel.

Zwei Lösungen stehen zur Auswahl:Man könnte die Kommission - wie im Vertrag von Lissabon vorgesehen - auf zwei Drittel der Mitgliedstaaten verkleinern, also derzeit auf 18 Kommissare. Damit müssten neun Staaten auf ihren Kommissar verzichten. Diplomaten befürchten hier "unschöne Diskussionen" , die dem zerkratzten Image der EU nicht gerade förderlich wären. Die zweite Möglichkeit:statt 27 nur 26 Kommissionsmitglieder. Das Land, das den Hohen Beauftragten für die Außen- und Sicherheitspolitik stellt (derzeit Spanien mit Javier Solana), geht leer aus.

Auf neue Machtbefugnisse verzichten müsste auch das EU-Parlament, tritt der Vertrag von Lissabon nicht vor der Wahl in Kraft. Denn das Parlament sollte als direkt gewählte Institution deutlich mehr Einfluss bekommen: von der Wahl des EU-Kommissionspräsidenten bis zur Rechtssetzung, wo die Volksvertretung bei 95 Prozent aller Gesetzesvorhaben ein Mitspracherecht hat.

Und die Verkleinerung des Parlaments von 785 auf 751 Abgeordnete würde wegfallen. Österreich hätte mit Reformvertrag zu den 18 Parlamentariern einen dazu bekommen, ohne Vertrag sind ab der 2009 beginnenden Legislaturperiode nur noch 17 österreichische Abgeordnete im EU-Parlament.
(Michael Moravec aus Brüssel/DER STANDARD, Printausgabe, 18.9.2008)