Britische Muslime sollten sich besser integrieren, Englisch lernen und für ihre Rechte eintreten, anstatt dauernd auf die Politik ihrer Herkunftsländer zu starren. Mit diesem kontroversen Appell wendet sich der profilierteste Muslim im Unterhaus, der Labour-Abgeordnete Sadiq Khan, an seine Glaubensbrüder. Dazu gehörten mehr Mitspracherechte und Förderung für Frauen, auch in den Moscheen, argumentiert das Londoner Parlamentsmitglied in einer 95-seitigen Broschüre für den Thinktank Fabians.

Gemäß Khans Slogan "Kinderbetreuung statt Kaschmir" sollten sich die rund zwei Millionen britischen Muslime auf ihre unmittelbaren Lebensumstände konzentrieren: "Armut und Ungleichheit stellen für die große Mehrzahl der Muslime das größte Problem dar, nicht der Irakkrieg oder die Antiterrorgesetzgebung." Khan (37) zählt zu den profiliertesten Menschenrechtsanwälten des Landes, war ein erklärter Gegner des Irak-Feldzuges und gehört dem Unterhaus seit 2005 an. Eigentlich wolle er vor allem die Bürger seines Wahlkreises Tooting vertreten, seufzt der Abgeordnete: "Aber viele andere definieren mich in erster Linie über meine Religion." Khan ist der einzige Muslim unter 74 Parlamentariern aus London, wo sich rund zehn Prozent der Wahlberechtigten zum Islam bekennen. Insgesamt gehören dem Unterhaus vier Muslime an, allesamt Männer und Labour-Mitglieder.

Bei seinem einjährigen Forschungsprojekt stieß Khan noch auf manch andere Ungerechtigkeit. Sein Bericht "Fairness, not favours" fordert deshalb von der Regierung mehr Geld für Englisch-Sprachkurse, besondere Förderung für Musliminnen sowie gründlicheren Geschichteunterricht für alle britischen Kinder: "Welcher Erwachsene und welches Schulkind weiß schon, dass im Zweiten Weltkrieg 2,5 Millionen Inder für eine Nation kämpften, die sie nie gesehen hatten?" Die Geschichte des britischen Empire und der Beitrag von Immigranten zum Wohlstand Großbritanniens müssten stärker thematisiert werden.

In der öffentlichen Debatte ging es zuletzt vor allem um die begrenzte Einführung der islamischen Scharia-Gesetzgebung. Davon distanziert sich Khan und fordert von den Führern der Muslimorganisationen die Einhaltung britischer Gesetze: "Wir müssen Zwangsehen und sogenannte Ehrenmorde klar verurteilen und unsere Jugend auch so erziehen." Die zwei Millionen britischen Muslime stammen überwiegend aus den früheren Kolonien Pakistan und Bangladesch. Ihre Arbeitslosigkeit ist dreimal so hoch wie jene der Gesamtbevölkerung; mehr als die Hälfte der erwachsenen Muslime geht keiner Erwerbstätigkeit nach. Bei den Frauen liegt der Anteil noch höher.

Immer wieder weist Khan darauf hin, dass Frauen sowohl von Imamen und Moscheevorständen als auch von der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert werden. Die Gleichbehandlung der Frauen sei ein wichtiges Mittel gegen den islamistischen Extremismus, denn: "Die meisten Extremisten sind gleichzeitig auch frauenfeindlich." (Sebastian Borger aus London/DER TANDARD, Printausgabe, 17.9.2008)