Refat Tschubarow, Abgeordneter

Foto: Tatjana Montik

Tatjana Montik sprach mit Tschubarow in Kiew.

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STANDARD: Sind auf der Krim Aktivitäten Russlands zu spüren?

Tschubarow: Nach den jüngsten Ereignissen im Kaukasus haben wir es noch einmal deutlich gesehen: Russland hat in den letzten Jahren seine Positionen auf der Krim merkbar konsolidiert.

STANDARD: Worin äußert sich das?

Tschubarow: In den letzten Jahren hat Russland eine systematische, gut strukturierte Arbeit in Bezug auf seine Landsleute auf der Krim durchgeführt. Nach den russischen Gesetzen wird der Begriff ‚russische Landsleute' breit ausgelegt. Es gibt viele pro-russische, zum Teil radikale Organisationen, die auf der Krim als Lautsprecher für die geheimen Ideen des Kremls auftreten. Dazu gehört "Proryw" (Durchbruch) und die Bewegung "Sewastopol-Krym-Rossija" .

STANDARD: Was ist Russlands ,fünfte Kolonne‘ auf der Krim?

Tschubarow: Uns ist bekannt, dass ein bestimmtes Segment der Bevölkerung der Krim für die Unterstützung Russlands ausgenützt wird. Dennoch gehören zur ,fünften Kolonne‘ nicht alle Menschen, die ethnische Russen sind und in Russland ihre familiären Wurzeln haben. Die ,fünfte Kolonne‘ auf der Krim hat weniger eine ethnische, sondern mehr eine ideologische Umrahmung. Dazu gehört in erster Linie die Kommunistische Partei der Krim, denn sie tut alles dafür, dass Russland seine Positionen in der Ukraine stärkt.

STANDARD: Wie stark ist die ,fünfte Kolonne‘ Russlands auf der Krim?

Tschubarow: Die Situation ist insofern spezifisch, als die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim stationiert ist. (Der Vertrag für den Hafen Sewastopol läuft bis 2017, Red.) Sie entwickelt ein ganzes System der Spionage und Gegenspionage, und sie führt auf der Krim verschiedene, zum Teil geheime Operationen durch. Solange die Schwarzmeerflotte bei uns bleibt, haben wir jeden Grund zur Befürchtung, dass die ,fünfte Kolonne‘ radikalisiert und bei Bedarf gegen die Ukraine aktiviert werden kann.

STANDARD: Wie aktiv gibt Russlands Konsulat auf der Krim russische Pässe aus?

Tschubarow: Russland gibt keine Antwort auf die Anfragen des ukrainischen Außenministeriums, wie viele ukrainische Bürger die russische Staatsbürgerschaft erhalten haben. Einigen Informationen zufolge stellen täglich bis zu 25 Menschen im russischen Konsulat in Simferopol Anträge auf die russische Staatsbürgerschaft.

STANDARD: Wie begründet ist die Angst vor einer russischen Gefahr auf der Krim?

Tschubarow: Hätten Sie mich das vor einem halben Jahr gefragt, hätte ich gesagt: Russland würde einen Konflikt wie diesen niemals anzetteln. Leider ist nach den Ereignissen im Kaukasus alles anders geworden. Man kann natürlich Saakaschwili (Präsident Georgiens, Red.) kritisieren, doch niemand kann die letzte Aggression Russlands rechtfertigen. Wo ist die Grenze, die der Kreml in den Beziehungen zu seinen Nachbarn nicht überschreiten wird? Sie ist dort, wo die westlichen Demokratien sie setzen.

STANDARD: Wie verhält sich die krimtatarische Bevölkerung angesichts der jüngsten Entwicklung?

Tschubarow: Die Krimtataren würden unter einer Aggression Russlands am meisten leiden. Denn sie fangen gerade erst an, sich nach der Rückkehr aus der Verbannung (durch Stalin, Red.) in ihrer historischen Heimat wohl zu fühlen und sich in die ukrainische Gesellschaft zu integrieren. In Moskau weiß man, dass die Krimtataren eindeutig eine pro-ukrainische Kraft sind. Es ist traurig, dass unsere ukrainischen Politiker nicht imstande waren, angesichts der Bedrohung von außen eine einheitliche pro-ukrainische Position einzunehmen. (DER STANDARD, Printausgabe, 16.9.2008)