Foto: dieStandard.at/bto

"Do It Yourself!" als Devise eines "subversiven Selbstermächtigungsprojekts": Vom 10. bis 14. September hat sich que(e)r durch Wien die Verschränkung queerer, feministischer und anti-rassistischer Positionen aus Praxis und Theorie Raum geschaffen...

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...einen Raum, der für die vielen ihn Bespielenden gewisse Anforderungen erfüllen muss: "Eine Öffnung, in welcher Form auch immer, bringt auch immer die Gefahr mit sich, dass dieser Raum nicht mehr bestehen kann."

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Queer Feminism Will Rock You!

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Plakat/Foto: qft

Bleiberecht für alle!

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Beim Dykemarch in Wien, der am Freitag im Rahmen der queer-feministischen Tage stattgefunden hat, entrüstete sich ein Passant: "Jeder Tag ist heutzutage ein feministischer, da müssen's keine extra ausrufen." Der wußte definitiv nicht, worum es bei den queer-feministischen Tagen (qft) geht, und ist damit sicher nicht alleine.

Um ein wenig Licht in die Konzepte und Aktivitäten der qft zu bringen, hat sich Birgit Tombor für dieStandard.at mit vier Co-OrganisatorInnen eines wachsenden Kollektivs im EKH getroffen, wo am Samstag Abend eine große Party mit HOMORISK, den Freien Radikalen, Norah Noizzze und etlichen anderen MitmacherInnen stattgefunden hat. Am Sonntag hat sich der offene queere Raum in Wien dann wieder geschlossen - um im nächsten Jahr wieder statt und Stadt zu finden - wahrscheinlich eine in der Schweiz.

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Mitmachen ist das A und O bei den queer-feministischen Tagen. Der "Do It Yourself" (DIY)-Gedanke ist zentral, und genauso die Heterogenität des Organisations-Teams. So repräsentieren Irizzz, Elisa, Kathi und Loki auch "nur einen Teilausschnitt von Meinungen und Ideen, die hinter den qft stehen", wie sie im Gespräch mit dieStandard.at betonen.

Aber mal von Anfang an: 2003 hat alles als Vernetzungsprojekt von Gender- und Queerstudies-Studierenden im deutsprachigen Raum begonnen, und schon bald erfuhr diese uni-interne Sache durch Einflüsse wie den Ladyfesten und anderen queer-feministischen Festivals eine Ausweitung. Bei gegenseitigen Besuchen queerer Veranstaltungen, wie zum Beispiel den diversen Ladyfesten findet ein stetiger Austausch statt. So auch letztes Jahr bei den qft in Berlin, wo eine Gruppe von etwa zehn Frauen aus Wien zu Gast war, die letztlich vorgeschlagen hat, die nächsten Queer-feministischen Tage in Wien zu organisieren, erzählt Irizzz. "Vor allem der Gedanke stand im Vordergrund: Wir öffnen in Wien einen Raum für Leute, die was machen wollen", sagt Kathi.

Eigendynamik und überbordendes Angebot

Klar war: Es braucht eine Gruppe von Interessierten, die das Projekt auf die Beine stellen und organisieren wollen sowie sich auch Leute mit Programm und Ideen melden sollten. Also wurden die zwei Standbeine - fast - gleichzeitig in Bewegung gesetzt, Aufrufe per Mails und Webseite gestartet, das Team wurde immer größer - dann wieder kleiner, und hat sich mittlerweile zahlenmäßig stabilisiert. "Es sind sicher ein paar Workshop-Ideen im Organisationsteam entstanden", so Kathi, der große Rest kam aber von den Menschen, die mitmachen wollten.

Zunächst gab es neben den Workshops auch kurzfristig die Idee für Vorträge am Programm, aber das habe sich rasch erledigt, erklärt Irizzz, "weil wir keine hierarchische Form der Wissensvermittlung haben wollen". Auch, weil es ganz im Gegenteil zur anfänglichen Befürchtung, es könnte zu wenig davon geben, eine Vielzahl von Themenvorschlägen für Workshops und Diskussionen an das Team herangetragen wurde und sich genügend interessierte MusikerInnen und PerformerInnen meldeten. "Das hat eine Eigendynamik entwickelt. Eine andere, als ursprünglich gedacht", erinnert sich Irizzz. "Das Programm ist angewachsen, nicht so musikzentriert wie bei einem Ladyfest, aber Angebote sind so viele gekommen, dass wir locker noch drei, vier Partys im Rahmen der qft hätten veranstalten können - was aber aus organisatorischen Gründen nicht machbar war. Zum Schluß hatten wir Schwierigkeiten, in dem vorhandenen Timetable alle Workshops, Ausstellungen, das Film- und Musikprogramm unterzubringen."

Politik kein Beiwerk

So hat es vom 10. bis 14. September eine Vielfalt von Veranstaltungen an Orten wie der Rosa Lila Villa, dem Amerlingshaus, im w23, an der GEWI und der HUS gegeben, Workshops, bei denen frau so Praktisches wie "Nähen fürs feministische Pinkeln" lernen oder ihr Computerwissen als "Female Technical Self" aufpolieren konnte. Programmatisch kamen auch feministische und queere Theorien nicht zu kurz: Bei "Wasn't/isn't feminism essentially queer?" wurde über eigene Erfahrungsdimensionen in den Kategorien Frau/Lesbe reflektiert; ein anderer Workshop diskutierte Formen und Widersprüche queerer Praxen.

Einer von Elisas Favoriten war das Filmprogramm des Hamburger feministischen Filmarchivs  "Bildwechsel" zum Thema Existenz/Arbeit/Nichtarbeit: "Eine Stunde Programm, das sehr feine, diverse feministische Positionen widergespiegelt hat." "Unterhaltungsprogramm" ist im Kontext der qft eben nicht als "Beiwerk" passiert: Es waren politische Abende, "wo sehr viel passiert ist: Von den Texten der Bands über das Filmische bis hin zu den Performances - wo ein queerer, feministischer, emanzipatorischer Anspruch durchwegs da ist."

So auch beim Open Space zum Thema Polyamory, meint Loki: "Der funktionierte nach dem Motto: Schauen wir einmal, was die Leute daran interessiert, wie sie mit dem Thema umgehen wollen, ob sie über Lebensentwürfe reden wollen, über Sachen, die sie gerade betreffen, oder sich von einer theoretischen Position damit auseinander setzen. Es waren sicher über 30 Leute da. Und das habe ich sehr nett gefunden, weil's eine sehr offene, angenehme Stimmung war - was gerade bei dem Thema Polyamory sonst ein Problem ist, weil das oft einen sehr problematischen Diskurs anregt."

Wen erreichen?

"Es hängt vom Thema der Veranstaltung ab, welche Leute mit welchem Background kommen, aber prinzipiell würde ich schon sagen, dass wir ziemlich viele unterschiedliche Menschen und Gruppen ansprechen", meint Kathi auf die Frage hin, wen sie mit den Konzepten erreichen wollen. Es wurden 250 Programme gedruckt, und die fanden reißenden Absatz. "Und auf den Festen sind sowieso immer mehr Menschen."

 "Wir wollen während dieser Tage einen gewissen Raum aufmachen, den wir gerne relativ präzise geprägt hätten, der für uns auch gewisse Anforderungen erfüllen muss. Eine Öffnung, in welcher Form auch immer, bringt auch immer die Gefahr mit sich, dass dieser Raum nicht mehr bestehen kann. Oder einfach gestört wird, weil die Menschen nichts mit den Forderungen verbinden, die im Raum (ent)stehen, und nichts damit anfangen können. Das ist der Knackpunkt", präzisiert Loki. 

Der partizipative Moment spiegle sich nicht nur in der Quantität der erreichten Menschen wider, ergänzt Irizzz: "Ich denke, wir alle wünschen uns, dass eine große Menge an emanzipativen Menschen, die dem D.I.Y.-Gedanken verpflichtet sind, zu uns kommen, und die Dinge mitgestalten, und es gibt auch bereits eine ganz schöne Anzahl, die da wirklich etwas macht. Wenn wir uns allerdings öffnen würden für ein Massenpublikum, dem Emanzipation kein Anliegen ist, die mit den bestehenden Verhältnissen zufrieden sind, und versuchen würden, die auf unsere Kulturveranstaltungen zu bringen, weil die ja auch Unterhaltungsprogramm sind, dann hätten wir bald eine Peter-Alexander-Show. Da würde ich mich dagegen sperren."

Keine Praxis ohne Theorie

Dass die praktischen Elemente des Programms auch keine derartige Kommerzialisierung bedingen könnten, zeigt ein Beispiel recht deutlich: Am Freitag hat eine Sexparty einen Raum für eine Gruppe von Personen zu öffnen gesucht, denen für diese Art von freier Sexualität bislang kein solcher öffentlicher Raum zur Verfügung gestanden ist: Transgender-Personen, queere Frauen und Lesben. "Es besteht natürlich auch die Gefahr, dass Missverständisse entstehen, dass es als Art lesbischer Swingerclub verstanden werden könnte - das soll's aber nicht sein. Es sollte aufzeigen, dass es sehr wohl eine Art Sexualität abseits von romantischen oder nicht romantischen Zweierbeziehungen gibt, dass man sich öffnen kann, und das Ganze ist auch ein Experimentierfeld", meint Irizzz. Die Sexparty sollte eine gewisse Basis bilden, locker mit dem eigenen Begehren umgehen zu lernen. "Das reflektieren zu können, was da passiert." Ohne Theorie komme frau auch hier nicht weiter: "Es ist ganz wichtig, dass man Workshops besucht, wo man sich mit dem eigenen Begehren auseinander setzt: Wie das gesellschaftlich produziert wird. Ohne dem wär das Ganze nicht denkbar. Das als Abendunterhaltungsprogramm für ein bisschen herumficken zu verstehen, ist der falsche Ansatz."

In Vorfeld wollten die qft in einem Workshop spürbar werden lassen, wie man Diskriminierungen im Begehren reproduziert. Irizzz erläutert das an einem Beispiel: "Die/der Rollstuhlfahrer/in ist nicht begehrenswert, weil die Person im Rollstuhl sitzt, und da beschäftigen wir uns gar nicht mehr damit, ob die Person eine interessante ist. Sie ist Rollstuhlfahrer/in, und fertig. Und ist damit aus dem Rennen sozusagen. Wenn man sich das bewusst macht, kann man das auch bewusst verändern - das war eigentlich das Ergebnis der Diskussionsgruppen." Ein Fragenkatalog - "militante Selbstuntersuchung" genannt, was eine aktivistische Selbstuntersuchung meint - diente dabei als Reflexionsmatrize, die derart umfangreich ist, dass es aus Zeitgründen unmöglich war, sie im Rahmen des Workshops hanz durchzugehen. "Die Gruppen haben den Wunsch geäußert, dass das weiter geht, dass wir uns regelmäßig treffen und das Thema weiter bearbeiten - und das werden wir auch machen. Ich finde das sehr positiv, dass im Rahmen der qft so spontan etwas entsteht, das dann auch in die Zukunft reicht", freut sich Irizzz.

Konzept für die Zukunft

Wo die queer-feministischen Tage dann aber doch den öffentlichen Raum suchten, war beim Dykemarch, der zum dritten Mal in Wien von Statten ging: "Ich hab' das total nett gefunden. Ich bin am Rand gegangen, nah an den Leuten, die uns da quasi 'begafft' haben", erzählt Kathi, "und es sind auch Menschen auf mich zugekommen, die wissen wollten, was das da eigentlich ist. 'Dykemarch - Kampflesben a gogo!' - Die Erklärung meinerseits war vielleicht ein bisschen zu spöttisch formuliert, aber die Reaktion der Leute war durchaus positiv."

Dass die queer-feministischen Tage keine singuläre Aktion bleiben sollen, steht laut Elisa fest: "Was wir uns wünschen würden, ist, dass der Kelch quasi weitergegeben wird, dass die qft in einer anderen Stadt stattfinden können. Es gibt Vermutungen, dass sie vielleicht in der Schweiz passieren werden."

Auf alle Fälle bleibt die Online-Plattform der qft Anlaufstelle für Interessierte, und sie wird in den nächsten Tagen mit noch mehr Materialien wie Fotos und theoretischen Texten befüllt. Und das potenzielle Nachfolge-Team queerer SchweizerInnen kann mit dem in Wien weiterentwickelten Grundstock dann weiter arbeiten. (bto/dieStandard.at/15.9.2008)