Es mag kurz nach dem siebenten Jahrestag der Terroranschläge auf das World Trade Center in New York pietätlos klingen, daher ist diese Feststellung nur im übertragenen Sinn zu verstehen: An der Wall Street bleibt derzeit kein Stein auf dem anderen. Im März musste die Investmentbank Bear Stearns (gegründet 1923) notverkauft werden. Und jetzt: Lehman Brothers - gegründet 1850, eine der ältesten an der New Yorker Börse notierenden Firmen.

Lehman schrieb 2001 Geschichte, als sich die Banker selbst durch den Terror nicht erschüttern ließen und drei Tage nach dem 11. September, nachdem ganze Abteilungen buchstäblich ausgelöscht worden waren, ihre Arbeit wieder aufnahmen. Das Investmenthaus wurde so zum Symbol für einen fast heldenhaften Finanzkapitalismus.

Doch jetzt haben sich die Finanzkapitalisten selbst besiegt. Die von ihnen und ihresgleichen - viele führende US-Wirtschaftspolitiker sind "Wall Street Boys" - geschaffene, völlig deregulierte Finanzwelt hat sie selbst überfordert. Im Immobilienmarkt wurde etwa auf der irrwitzigen Annahme aufgebaut, dass die Preise für Häuser bis in alle Ewigkeit steigen, weswegen jedem Arbeitslosen und seinem Cousin ein Hypothekarkredit hineingedrückt wurde. Diese Ramschkredite wurden danach weltweit weiterverkauft. Augen zu und mit Anlauf zur Katastrophe.

Zusammenkitten muss alles der Staat. Die Frage ist nun: Wie hoch kann das durch teure Kriege ohnehin gigantische US-Haushaltsdefizit noch werden, bevor Washington ernsthafte Probleme bekommt, was die Weltwirtschaft noch mehr erschüttern würde. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14.9.2008)