Das Resümee von Kanzler Alfred Gusenbauer (re.) zur Politik fällt trist aus. Gemeinsamkeiten mit Banker David Roberts sorgen aber für Spaß: Stimmenfang in Politik und Geschäft, Fußball und Mathe.

Renate Graber brachte den Noch-Kanzler und den Bawag-Chef zum Plaudern über Führungsqualitäten, Scheitern, Sparen und Leserbriefe.

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Gusenbauer: Waren Sie heute schon laufen?

Roberts: Nein, leider, habe mir den Rücken verletzt. Beim Billardspielen. Kommen Sie oft zum Laufen?

Gusenbauer: Mindestens drei-, viermal die Woche ...

STANDARD: Bleiben wir beim Aufwärmen, Sie trafen einander erst einmal. Bitte um Gedankensprünge. Was fällt Ihnen ein zu "Kuba-Krise" ?

Roberts: 1963, Kennedy und Chrustschow. Und 2006, wie die Bawag ihre Beziehungskrise mit kubanischen Kunden meisterte.

Gusenbauer: Raketenstationierungspläne 1963. Heutige Krise, in der es um den Übergang nach den Castros geht. 2009 wird 50 Jahre kubanische Revolution gefeiert, vielleicht wird das der Beginn der Transformation. Und ich denke daran, wie Kuba die enormen Folgen der Hurrikans überstehen kann.

STANDARD: "Kronen Zeitung" ?

Gusenbauer: Die erfolgreichste Zeitung der Welt. Es gibt kein Land in der freien Welt, in dem eine Zeitung im Verhältnis zu seiner Bevölkerung so viele Leser erreicht.
Roberts: Extrem hohe Reichweite, besonders 50- bis 60-Jährige.

STANDARD: "Leserbrief" ?

Roberts: Nie einen geschrieben. Lese sie aber, weil man erfährt, wie die Leute über Politik denken.

Gusenbauer: Ich habe schon einige geschrieben, nicht nur diesen einen an die Kronen Zeitung. Leserbriefe sind Teil moderner politischer Kommunikation.

STANDARD: "Penthouse" ?

Roberts: Nie eines gehabt.

Gusenbauer: Würde nie eines haben wollen.

STANDARD: "Weltspartag" ?

Roberts: International früher sehr wichtig für die Kundenbeziehung. Einzigartig, dass er in Österreich noch so gefeiert wird.

Gusenbauer: Immer noch wichtig. Andere Länder wären glücklich, hätten sie Sparquoten wie wir.

STANDARD: Haben Sie noch das Sparbuch, das Sie, wie Regierungskollegen, in der Bawag-Krise eröffnet haben, zur Kundenberuhigung?

Gusenbauer: Natürlich. Ich bin ein sehr konservativer Sparer.

STANDARD: Wie viel haben Sie eingezahlt?

Gusenbauer: 2000 Euro.

STANDARD: Nicht sehr mutig: Wäre die Bawag pleitegegangen, hätte die Einlagensicherung bis zu 20.000 Euro je Sparbuch abgedeckt.

Gusenbauer: Schon, aber damit hatte das nichts zu tun. Ich hatte einfach nicht mehr Bares.

STANDARD: Oje.

Gusenbauer: Normale Leute wie wir können nur einen Teil ihres Einkommens sparen. Die Sparquote bei uns liegt bei mehr als zehn Prozent.Und 2000 Euro sind mehr als zehn Prozent meines monatlichen Einkommens. Viel mehr.

Roberts: Ich habe sechs Kinder. Sparen ist in meiner Familie daher eine interessante Idee.

Gusenbauer: Kenn ich. Immer, wenn meine Frau oder Tochter Geld ausgeben, sage ich: Okay, in Humankapital, in Human Ressources investieren, ist auch wichtig.

STANDARD: Human Ressources, Arbeitswelt, darüber diskutieren Sie beide am Montag bei Deloitte. Ist es ein großer Unterschied, ob man eine Bank oder eine Regierung führt?

Gusenbauer: Ich habe nur eines von beidem probiert. Bis jetzt.

STANDARD: Ab den Wahlen: Banker?

Gusenbauer: Nicht unbedingt Banker. Aber ich interessiere mich für Wirtschaft, Banking gehört dazu. Aber, damit Sie sich nicht irren ...

Roberts: ... wir sehen schon Ihre Schlagzeile ...

Gusenbauer: ... ich habe keine konkreten Pläne, eine Bank zu führen.

Roberts: Für Leadership gibt es bestimmte Qualifikationen, egal, ob in Banken, Sport, Kultur, Politik. Man muss wissen, was man erreichen will, bereit sein, auch harte Entscheidungen zu treffen, und das kommunizieren, die Leute mitreißen, Vertrauen schaffen. Die Ziele von Politik und Geschäft sind sehr ähnlich: Wir wollen beide die Stimme unserer Kunden. Nur die Instrumente sind etwas andere.

STANDARD: Muss der Bundeskanzler dasselbe können?

Gusenbauer: In einer Koalition ist die Chefrolle besonders schwierig, ich kann ja nicht allein entscheiden, sondern muss den Partner in jedem Punkt überzeugen, meine eigene Partei zufriedenstellen und die Erwartungen der Öffentlichkeit. All das unter einen Hut zu bringen ist eine komplexere Übung, als eine Bank zu führen.

STANDARD: Das Schwierigste dabei?

Gusenbauer: Der Koalitionspartner.

STANDARD: Woran scheitern Manager und Politiker? Gier, Ehrgeiz?

Roberts: Man scheitert, wenn man das, was man sagt, nicht tut. Die meisten scheitern, weil sie zu hohe Erwartungen erzeugen.

Gusenbauer: In der Politik ist das leicht zu messen: Verliert man zu oft Wahlen, führt das zum Scheitern. Eine ganz andere Frage ist, ob man als Politiker gut oder schlecht war, etwas verändert hat: Das beantwortet erst die Geschichte.

STANDARD: Apropos, Sie haben jüngst über Grabinschriften philosophiert. Ich meine es nicht unhöflich: Was soll draufstehen?

Roberts: "Er hat sein Bestes gegeben, das Richtige zu tun."

Gusenbauer: Fragen Sie mich in 30 Jahren.

STANDARD: Könnte zu spät sein.

Gusenbauer: Jetzt sind Sie noch unhöflicher.

STANDARD: Warum? Das Leben kann jederzeit vorbei sein.

Roberts: Das stimmt.

Gusenbauer: Okay. Das Leben ist hart und manchmal zu kurz.

STANDARD: Gute Grabinschrift. Sie sprachen von den Instrumenten von Politik und Management. Wie schauen die der Politik heute aus?

Gusenbauer: Was unsere Zeiten zivilisierter macht als die alten, ist, dass Kämpfe in westlichen Demokratien nicht mehr mit echten Waffen geführt werden. Heutzutage gibt es neben den bekannten Waffen der Politik wie Verstand oder Redekunst auch die verborgenen: Lügen, Manipulation, Niedertracht und Abscheu. Immer noch besser als Gewehre und Bomben.

STANDARD: Und da arbeiten Sie? Ein schwarzes Bild, das Sie da malen.

Gusenbauer: Gar nicht, früher zogen die Leute in den Krieg ...

Roberts: ... heute in die Schlacht der Massenmedien.

Gusenbauer: Dieselben Mechanismen haben Sie doch auch in Unternehmen, nur verfolgen das die Medien nicht so genau. Meine Frau hat in einem großen internationalen Unternehmen gearbeitet, und wenn wir mit Freunden aus der Politik geplaudert haben, hat sie immer gesagt: "Wie bei uns."

STANDARD: Bei Ihnen auch so arg?

Roberts: In großen Unternehmen ist es wohl so, aber gute Chefs können Fehlentwicklungen stoppen. Sie können Mitarbeiter, die gegen die Regeln verstoßen, notfalls rauswerfen. Das macht den Job einer Führungskraft viel leichter als den eines führenden Politikers.

Gusenbauer: Sie können nicht einfach einen Abgeordneten aus dem Parlament werfen, nur weil er lügt.

STANDARD: Sie haben einiges gemein. Sie sind fast gleich alt ...

Gusenbauer: Er ist jünger ...

STANDARD: Seit Freitag 46, um zwei Jahre. Der Kanzler wollte schon als Bub Staatsmann werden ...

Roberts: Ich Astronaut.

STANDARD: Sie haben dann Mathematik studiert. Herr Bundeskanzler, in Mathe haben Sie in Ihrer Jugend gar nicht Nachhilfe gegeben?

Gusenbauer: Oh doch. Ich war ziemlich gut. Ich darf Ihnen sagen, dass ich meine Maturaarbeit nach zwei Stunden abgegeben habe.

STANDARD: Sie sind Fußballfans. Herr Roberts, warum waren Sie mit Vizekanzler Molterer beim Match Österreich - England und nicht mit ...

Roberts: War ich nicht, er war verhindert. Wegen eines Termins mit dem Kanzler. Ich saß neben dem Innenminister, wir haben sehr nett geplaudert. Aber das Match war grau-en-haft.

STANDARD:  Also, Sie kommen beide aus Arbeiterfamilien ...

Roberts: Mein Vater war Arbeiter in den Docks von Liverpool ...

Gusenbauer: ... meiner am Bau ...

Roberts: ... meine Mutter kommt aus einer Druckerfamilie ...

STANDARD: ... und Sie finden Gewerkschaften wichtig, wollten dem ÖGB beitreten. Haben Sie's getan?

Roberts: Nein, ich bin im Bankenverband. Aber in England war ich bei der Bankgewerkschaft.

STANDARD: Ist es nicht erstaunlich, dass der ÖGB nach Bawag-Skandal und seiner Fast-Pleite so rasch wieder zu Macht und Einfluss kam?

Gusenbauer: Na ja. Die derzeitige Regierung hat der Gewerkschaft sehr geholfen, zurück an die Macht zu kommen. Wir haben die Sozialpartnerschaft forciert, Gewerkschaft und Kammer eine Plattform geboten, auf der sie zeigen können, dass sie wichtig sind.

STANDARD: Hat es Sie traurig gemacht, dass der ÖGB die ehemalige Arbeiterbank ausgerechnet einem Hedgefonds verkauft hat?

Gusenbauer: Weder eine Partei noch eine Gewerkschaft sind imstande, Unternehmen zu führen. Es wäre viel klüger gewesen, hätte der ÖGB in den 70ern, 80ern seine Beteiligungen in eine Holding eingebracht und die professionellem Management überlassen. Bei einer klaren Trennung wäre noch viel ÖGB-Eigentum vorhanden. Ob der neue Aktionär besser ist, das müssen die Mitarbeiter, die Kunden, die Ergebnisse der Bank erweisen.

Roberts: Es ist falsch zu glauben, ein Hedgefonds wäre ein schlechterer Aktionär. Cerberus sucht Langfristinvestments, will Gewinne. Und die setzen Wachstum der Bank voraus und Investitionen.
Gusenbauer: Jedenfalls stand der ÖGB 2006 vor dem Finanzkollaps, hat den besten Preis für die Bank gebraucht. Welche Alternative gab es? So ist die Wirtschaft, so ist das Leben.

STANDARD: Danke für das Stichwort. Worum geht's im Leben?

Roberts: Glücklich sein, Spaß haben, seinen Beitrag leisten.

Gusenbauer: So lang wie möglich das tun können, was man tun will.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13./14.9.2008)