Dreißig Jahre hat man die Auflösung des Rätsels um den wohl spektakulärsten Journalistenmord aus der Zeit des Kalten Krieges erwartet. Erst in diesen Tagen enthüllte der bulgarische Journalist Hristo Hristow in einem brisanten Buch die Namen der Auftraggeber und des Mörders, nach langjährigem Kampf um den Zugang zu 97 höchst geheimen Akten, die auch nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Diktatur unter Verschluss aufbewahrt wurden. Ein stellvertretender Innenminister erhielt wegen Aktenvernichtung eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten, und ein anderer Vizeminister beging wegen seiner vermutlichen Beteiligung an Bulgariens berühmtesten Dissidentenmord Selbstmord.
Es ging um den berüchtigten "Regenschirm-Mord" am 7. September 1978 an der Waterloo Bridge in London. Das Opfer war Georgi Markow, ein in Bulgarien bekannter Autor und Journalist, der nach seinem Absprung in London für den bulgarischen Dienst der BBC, später auch für die Deutsche Welle und den Münchner US-Sender Radio Freies Europa arbeitete. Er spürte bei einer Autobushaltestelle plötzlich einen stechenden Schmerz in der Wade. Ein Mann mit einem Regenschirm, so berichtete er seiner britischen Frau, habe ein paar Worte der Entschuldigung gemurmelt und sei sodann unverzüglich mit einem Taxi davongefahren. Vier Tage später starb er. Die Ärzte fanden bei der Autopsie in seiner Wade eine winzige Kapsel, die das tödliche Gift Rizin enthielt.
Da Markow in seinen Kommentaren das bulgarische KP-Regime und namentlich den Partei- und Staatschef Todor Schiwkow angegriffen hatte, äußerte die Londoner Times in einem Leitartikel schon damals "den starken Verdacht", dass Georgi Markow "von einem Agenten im Auftrag der bulgarischen Behörden ermordet wurde".
Heute wissen wir auch aus den Enthüllungen des früheren KGB-Generals Oleg Kalugin, dass das Gift und die Kapsel aus einem noch immer existierenden russischen Geheimlabor zur Verfügung gestellt wurden und dass der Anschlag auf direkten Befehl des bulgarischen Diktators - und wohl nicht zufällig an seinem Geburtstag - verübt wurde.
Der Täter unter dem Decknamen "Piccadilly" war ein Däne italienischer Herkunft namens Francesco Guillino, der als Antiquitätenhändler getarnt nach London kam. Die britische Kriminalpolizei fand ihn in Dänemark. Er gab bei den Verhören durch britische und dänische Ermittler die Agententätigkeit zwar zu, bestritt aber jede Beteiligung am "Regenschirm-Mord". Beweise gab es damals keine. "Piccadilly" verschwand dann spurlos in Italien.
Erst unter dem Druck der Europäischen Union wurde 2006 eine Untersuchungskommission in Bulgarien zur Aufarbeitung der Stasi-Unterlagen eingesetzt. Nur deshalb konnten die Archivunterlagen überhaupt eingesehen werden.
Dabei stellte sich heraus, dass Staatspräsident Parvanow, ein früherer Ministerpräsident, der Vorsitzende der Türkenpartei/DPS, zahlreiche hohe Regierungsbeamten, Verfassungsrichter und 19 Abgeordnete zum Parlament (seit 1990 insgesamt 139 Parlamentarier) Agenten der Stasi waren.
Am 11. September, 30 Jahre nach Markows Tod, ist der Mord nach bulgarischem Recht verjährt. Die britischen Ermittlungen laufen aber weiter. Wer weiß, vielleicht wird eines Tages auch die ganze Dimension der bulgarischen (und sowjetischen) Verstrickung beim Papstattentat 1981 aufgeklärt werden. (Paul Lendvai/DER STANDARD, Printausgabe, 11.9.2008)