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Jungstar Mavie Hörbiger spielt ab morgen, 19.30 Uhr, die Geisha "Okichi" in einer Uraufführungsinszenierung der Josefstadt.

Foto: Fohringer/APA

Wien - Bertolt Brecht hatte mit der Emigration - er musste als wichtigster deutscher Dramatiker anno 1938 vor Hitler (dem "Anstreicher"!) nach dem Reichstagsbrand Reißaus nehmen - über Nacht seine dramatische Plakatfläche verloren. Brecht wechselte in mehr oder minder hastiger Folge die Exilorte: Dänemark, Schweden, Finnland. Brechts Theater, in dem er gesellschaftliches Unrecht verdeutlicht, war seinem Ursprung entrissen worden. Der zigarrenrauchende Emigrant an den kühlen Sunden Europas entbehrte fortan die natürliche Anschauungsform einer funktionierenden, ihm ästhetisch zu Diensten stehenden, deutschsprachigen Theaterbühne.

Brecht (1898-1956), dessen unter Mühen nachgelassenes Stück Die Judith von Shimoda morgen, Donnerstag, im Wiener Josefstadt-Theater uraufgeführt wird, reagierte auf die Einschränkungen einer landflüchtigen Existenz prompt. Die berühmten Brecht-Stücke der Exilzeit, Der gute Mensch von Sezuan oder Der kaukasische Kreidekreis, atmen einen unverkennbar exotischen Duft. Man könnte geradezu vom asiatischen Konfuzius-Aroma sprechen. Brecht hatte keinen Pinsel mehr zur Verfügung. Er strichelte feinsinnige Gleichnisse. Er bediente sich, ein Weiser der Verschubhäfen zwischen L. A. und Wladiwostok, dazu der Tusche.

Der zur Unstetigkeit gezwungene Autor, der im Verein mit vielen Sekretärinnen und einer überwiegend zur Untätigkeit verdammten Starschauspielerfrau (Helene Weigel) quer durch die Kontinente reiste, verschwand voller Absicht hinter der chinesischen Pergamentmaske. Brecht im Exil - das ist in Wahrheit die Geschichte einer merkwürdigen, aber produktiven Übertragungs(fehl-)leistung. Sie erweist sich nicht nur im Fall der japanischen Judith als Glücksfall.

1940 weilte Brecht als Gast der Dramatikerkollegin Hella Wuolijoki in Finnland. Man zeigt einander Stückvorhaben. Brecht, der ein intaktes Büro von Textarbeiterinnen mit sich führt, wird gleichsam mit der epischen Spürnase auf ein Drama des Japaners Yamamoto gestoßen: "Die traurige Geschichte einer Frau, die Geschichte von Chink Okichi" behandelt den patriotischen Opfergang einer Geisha, die sich 1846 einem amerikanischen Konsul aus Staatsräson widerstrebend an den Hals wirft. Sie wendet die Gefahr der Beschießung der Stadt Shimoda ab - leidet in der Folge aber als "Flittchen" an der Demütigung durch diejenigen, die von ihrem Akt der Völkerverständigung profitieren.

Eine Judith-und-Holofernes-Geschichte über Heldinnen, über Sendungaufträge und deren Verfallszeiten. Ein in Nippon legendärer, als rührselige Ballade über Heldenmut und Trunksucht erzählter Akt der Zivilcourage.

Brecht verstrickt sich also in Übersetzungsarbeiten. Er leistet sich mit seiner Gastgeberin Wuolijoki einen regelrechten Wettstreit über die Bedeutung des "Epischen" . Ein Sängerwettstreit, der auf der Seite Brechts in Einzelszenen kulminiert, aber - mit Blick auf ein funktionierendes Stück-Ganzes - liegen bleibt. Die "Große Berliner und Hamburger" Werkausgabe weist bloß Szenenschrott aus. Brecht war derjenige, auf den man nicht "bauen" konnte. Der Wissenschafter Hans Peter Neureuter bedient sich daher in der Buchausgabe (seit 2006 bei edition suhrkamp) einiger philologischer Hochrechnungsergebnisse, um nachweisen zu können: Trara, Trara, ein neuer Brecht ist da! Und sei es aus der Feder der tüchtigen Wuolijoki.

Markierungen des Epikers

Ist es also Brecht, was da von Heribert Sasse am Josefstadt-Theater inszeniert wird, mit der jungen Mavie Hörbiger als Okichi? Er schrieb wohl einige Szenen selbst, begnügte sich ansonsten mit "Markierungen" - und redigierte Arbeitsergebnisse der treuen Mitarbeiterinnen.

Das plakatmalerische Genie des Augsburgers erweist sich im Detail. Eine Rahmenhandlung setzt den Heroismus der unglücklichen Geisha außer Kraft. Gezeigt soll werden, dass es ein "Fortleben" patriotischer Monumente gibt. "Stars" überleben sich - sie fallen nach vollbrachter Heldentat in die Anonymität zurück, mit schrecklichen Folgen für das Humankapital. Überhaupt rührt alles "Epische" an der japanischen Judith, alles Bedeutungsanzeigende von der Kompetenz Brechts.

Kann es nicht sogar sein, dass Brechts lebenslanges Engagement für den Kommunismus den Blick auf seine "asiatische" Schaffensphase verunklärt? Auf den Realitätsgehalt von Gleichnisreden? Judith versorgt einen US-Konsul; sie bleibt dafür unbedankt, führt einen Frisiersalon (!), zerstört ihre Ehe und verfällt darauf in stolzer Verstocktheit dem Alkoholismus. Ein RTL-Schicksal; das Produkt einer Zehntelsekunde von Ruhm. Ein schmerzlich aktuelles Stück. (Ronald Pohl, DER STANDARD/Printausgabe, 10.09.2008)