Sie suchten beim Standard-Montagsgespräch die Wurzel des Übels namens große Koalition: Journalistin Anneliese Rohrer, SPÖ-Nationalrat Josef Broukal, Politologe Norbert Leser und Bildungspolitiker Bernd Schilcher mit Moderator und Standard-Kolumnist Gerfried Sperl.

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Wien - Früher, da war die Welt irgendwie einfacher. Als er aufgewachsen sei, erzählte Noch-SPÖ-Nationalrat Josef Broukal, da gab es drei Parteien: "Die Roten, die Schwarzen und die Partei für die Ex-Nazis." Nun werde der Wähler, das mysteriöse Wesen, aber immer heikler, befand der ÖVP-nahe Bildungspolitiker Bernd Schilcher. "Viele Gruppen und Grüppchen nehmen die Parteien in Geiselhaft, die Anliegen werden immer kleinräumiger." Da sei es nur logisch, dass heuer so viele Parteien wie noch nie - nämlich zehn - bundesweit bei den Nationalratswahlen antreten.

"Die Großparteien im Tief - ist nur die Koalitionspolitik schuld?" Dieser Frage gingen Broukal, Schilcher, die Journalistin Anneliese Rohrer und der Politologe Norbert Leser beim Standard-Montagsgespräch nach. Glaubt man den Umfragen, dann könnten erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik SPÖ und ÖVP unter 30 Prozent fallen, erläuterte Moderator Gerfried Sperl. „Parteien können auch verschwinden, so what?", meinte Rohrer, die eine Krise der politischen Protagonisten ortet. „Der Unwille des ÖVP-Personals, in dieser Regierung zu sein, und das Unvermögen der SPÖ-Spitze, irgendetwas zu machen" - das habe die große Koalition geprägt. Und die Journalistin "möchte nicht in der Haut des Bundespräsidenten stecken" - er habe "zwei Parteien in eine Regierung gezwungen, die das nicht wollten". Das habe zu einer Instabilität geführt, „die es in der Zweiten Republik noch nicht gab. Über diese Verantwortung muss der Präsident nachdenken."
Ähnlich sieht Politologe Leser die 18 Monate der rot-schwarzen Regierungszusammenarbeit: "Dass eine große Koalition große Probleme lösen soll, mutet wie ein Hohn an." "Das glaubt nicht einmal mehr der Präsident", assistierte Schilcher, der die Expertenkommission der roten Bildungsministerin Claudia Schmied leitet und Mitglied des Unterstützungskomitees für den schwarzen Spitzenkandidaten Wilhelm Molterer ist. Nach den Neuwahlen dürfe es keinesfalls wieder eine große Koalition geben, Leser hält vor allem eine Minderheitsregierung für ein „erfolgversprechendes Unternehmen" - und fand damit weitgehend Zustimmung am Podium.

Besser und lustiger

Früher, da war alles irgendwie besser. Nächtelang sei man in Graz gesessen und habe neue Ideen diskutiert, Vertreter aller Parteien, Journalisten, ganz normale Bürger - „Kannst du dich erinnern?" fragte Schilcher in Richtung Moderator Sperl. Zudem sei es damals lustiger gewesen, heute herrsche nur mehr eine „Reparaturphilosophie" in der Politik. Die großen Perspektiven für das Land habe es zwar früher auch nicht gegeben, räumte Schilcher ein - aber wenigstens einen Wettbewerb der Ideen. Auch Broukal, laut Eigendefinition mittlerweile wieder Journalist, räumte ein: „Es fehlen die politischen Botschaften, die die Menschen einladen, eine Lebensabschnittspartnerschaft mit einer Partei einzugehen." Die „Erbpacht" der treuen Wählerschar fehle den Großparteien: „Man kann schnell in den Keller fallen, aber auch schnell nach oben kommen."


Es fehlen auch fähige Politiker, befand Rohrer: „Das haben wir herbeigeführt, wir haben die Politik verächtlich gemacht", meinte die Kurier-Kolumnistin selbstkritisch. Wechsle jemand nach seiner Polit-Karriere in die Wirtschaft, hafte ihm sofort der Geruch der Protektion an. Schilcher erzählte, er versuche immer wieder, Junge zu einer politischen Karriere zu bewegen - „Und die sagen mir dann: Ich verdiene weniger Geld als in der Wirtschaft, ich muss am Wochenende zu Veranstaltungen tingeln, und in fünf oder zehn Jahren bin ich unvermittelbar." Auch eine andere Job-Bedrohung gibt es in der Politik, für Leser ist dies sogar eine Grundbedingung für die gute Arbeit einer Regierung: „Das Damoklesschwert der Abwahl muss immer über einer Koalition hängen." (Andrea Heigl/DER STANDARD-Printausgabe, 10. September 2008)