Foto: Fischer

"Der im Moment am besten bewachte Platz in Wien" ist Standort der Beratungsstelle für Süchtige.

Foto: Fischer

Wien - Kaum bleiben die Türen der Suchtentziehungsstelle in der Westpassage am Karlsplatz für zwei Minuten geschlossen, sammeln sich schon die ersten Klienten vor der Beratungsstelle; sie warten ungeduldig und klopfen gegen die Glastür. Für etwa 600 Suchtkranke ist der tägliche Gang zur Wiener Beratungsstelle ein fixer Bestandteil ihres Alltags.

Die Sozialarbeiter bieten den Betroffenen Hilfe auf zwei Ebenen: der praktisch-medizinischen und der psychosozialen. Täglich tauschen die Mitarbeiter der Suchtentziehungstelle 2000 bis 3000 Einwegspritzen, um Infektionskrankheiten wie HIV oder Hepatitis vorzubeugen. "Wir beraten, betreuen, begleiten", erzählt der Sozialarbeiter Günter Tomschitz. Die Streetworker bieten ihre Hilfe nicht nur innerhalb der Beratungsstelle an, sondern treten mit den Drogenkonsumenten auch auf der Straße in Kontakt. Neben ihrer Funktion als Ratgeber leisten sie vor Ort erste Hilfe bei medizinischen Notfällen.

"Hilfe statt Strafe", so lautet das neue Konzept der Stadt Wien in der Drogenpolitik. Anstatt harter polizeilicher Maßnahmen werden den Drogenkranken Streetworker als Wegbegleiter zur Seite gestellt. Zusätzlich hat die Stadt Wien Schutzzonen errichten lassen, und 2004 wurden Überwachungskameras am gesamten Karlsplatz installiert, um den Passanten die Angst zu nehmen. "Der Karlsplatz ist der im Moment am besten bewachte Platz in Wien", weiß Tomschitz.

Auch in der Westpassage, der Beheimatung der Suchtentziehungsstelle, wurde etwas für das subjektive Sicherheitsgefühl der Menschen getan. Sie wurde heller und großzügiger, dunkle Nischen verschwanden. Die Situation für die Passanten am Karlsplatz habe sich seit dem Umbau wesentlich entspannt, meint Tomschitz.

Für Suchteinsteiger wird jedoch der Zugang zu harten Drogen immer leichter: "Der Einstieg in die harte Drogenszene kostet nicht mehr als zwei Packungen Zigaretten", sagt Tomschitz.

Noch vor zehn Jahren lag der Preis für eine Tagesdosis eines Süchtigen bei 2000 bis 4000 Schilling, heute sind suchtmittelhältige Tabletten hingegen schon ab zehn Euro erhältlich.

Dies liegt laut dem Sozialarbeiter Tomschitz auch an der fortschreitenden Globalisierung und günstigeren Transportmöglichkeiten. Laut Statistik des Bundeskriminalamts sind 20.000 Österreicher drogenabhängig. Alleine die Hälfte davon lebt in Wien. Erschreckend dabei ist, dass die Suchtopfer immer jünger werden.

"Unsere jüngsten Klienten sind gerade einmal 15 Jahre alt und haben von Jugendpsychiatrie bis zu Heimaufenthalten schon so ziemlich alles erlebt", schildert Tomschitz. Als Gründe für den Absturz in die Sucht gelten ihm zufolge bei Frauen sexueller Missbrauch und bei Männern Verwahrlosung und massive Gewalterfahrungen.

Auch wenn es den Streetworkern gelingt, Erkrankte zu Therapie und Entzug zu bewegen, ist dies keine Garantie für ein völlig drogenfreies Leben. "Für uns zählen aber nur die cleanen Jahre", sagt der Sozialarbeiter optimistisch.

"Angst und Ekel"

"Die potenzielle Gefahr am Karlsplatz ist genauso groß wie anderswo auch", sagt Tomschitz. Angst wird aber dennoch geschürt. Drogensucht sei ein tabuisiertes Thema, das bei den Menschen Ekel und Angst hervorruft.

Zwischen den Drogensüchtigen und den Passanten komme es zu keinerlei gewaltsamen Übergriffen, erzählt Tomschitz, schränkt jedoch ein: "Er ist und bleibt aber sozialer Brennpunkt."

Die Glastüren öffnen sich für die Klienten wieder. Ob Frauencafé, Spritzentausch oder ein freundliches Gespräch - in der Suchtentziehungsstelle in der Westpassage nimmt alles wieder seinen gewohnten Lauf. (Nina Groß. Saskia Mayr, Katrin Pfleger, Karoline Schindlegger/ DER STANDARD, Printausgabe, 9.9.08)