Kiew - Die ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ist für Donnerstag von der Staatsanwaltschaft als Zeugin vorgeladen worden, um im Fall der Vergiftung des heutigen Präsidenten Viktor Juschtschenko im Wahlkampf 2004 auszusagen. Timoschenko, die sich weiterhin einen erbitterten Machtkampf mit dem Staatschef liefert, werde um 09.00 Uhr (MESZ) erwartet, sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Olga Iwaniw. Die zweite Einbestellung der Regierungschefin in der Affäre habe "keinerlei politischen Charakter".

Juschtschenko war im September 2004 mitten im Präsidentschaftswahlkampf schwer erkrankt. Ärzte in Wien stellten Monate später eine Dioxin-Vergiftung fest. Die Staatsanwaltschaft vernahm bereits Dutzende von Zeugen, darunter auch Juschtschenko selbst. Der Präsident hatte kürzlich den Verdacht geäußert, sein früherer Mitarbeiter David Schwania, der mittlerweile Timoschenko nahesteht, habe ihn vergiftet. Schwania versichert, Juschtschenko sei gar nicht vergiftet worden. Timoschenko und Juschtschenko, die bis zur Vorwoche eine pro-westliche Regierungskoalition bildeten, befinden sich im innenpolitischen Dauer-Clinch.

Hochverrat

Timoschenko gab am Montag in Kiew bekannt, sie habe eine Aufforderung der Staatsanwaltschaft erhalten, sich am Donnerstag wegen Hochverrats zu verantworten. "Heute ist ein Fall gegen meinen Sekretariatschef, gegen die Ministerpräsidentin, und gegen eine große Zahl von Leuten in meiner Regierung eröffnet worden", sagte die Ministerpräsidentin laut der ukrainischen Nachrichtenagentur UNIAN. Agenturen hatten zunächst gemeldet, dass Timoschenko bereits am Dienstag vor Gericht erscheinen müsse.

Nicht erst seit Juschtschenkos Stabschef Viktor Baloha sie des Landesverrats bezichtigte, werde sie rund um die Uhr überwacht, so Timoschenko. "Ich werde seit vielen Monaten 24 Stunden am Tag beschattet." Ihr zufolge wurden stellvertretende Staatsanwälte unter Druck gesetzt, ein Verfahren gegen sie zu eröffnen. Im Gegenzug sei ihnen das Amt des Staatsanwalts in Aussicht gestellt worden.

Nach monatelangen Streitigkeiten im prowestlichen Lager hatte Juschtschenkos Partei in der Vorwoche die Zusammenarbeit mit Timoschenko aufgekündigt. Juschtschenko beschuldigt seine einstige Mitstreiterin, sie habe die russische Militärintervention in Georgien und die Anwesenheit der russischen Marine auf der Krim kaum verurteilt, weil der Kreml ihr im Gegenzug seine Unterstützung für die Präsidentenwahl im Jahre 2010 zugesagt habe. Timoschenko weist dies zurück.

Die Regierungschefin forderte Juschtschenko nichtsdestotrotz zu einer Fortsetzung der prowestlichen Koalition auf. Sollte Juschtschenko seinen Bruch rückgängig machen, sei sie im Gegenzug bereit, den Präsidenten für eine weitere Amtszeit zu unterstützen, teilte sie am Montag nach Angaben der Agentur Interfax in Kiew mit.

Die Weggefährten der "Orangenen" Koalition von 2004 haben gemäß der Verfassung noch bis Mitte September Zeit, sich für eine Fortsetzung ihrer Koalition zu entscheiden. Danach muss das Parlament innerhalb von 30 Tagen ein neues Bündnis bilden. Ein Zusammengehen Timoschenkos mit Janukowitsch halten Experten für möglich, wenngleich dies dem Image der Regierungschefin im eigenen Lager schaden könnte. Scheitern alle Versuche einer Koalitionsbildung, müssen sich die Bürger bis Jahresende auf die zweite vorgezogene Parlamentswahl innerhalb von 15 Monaten einrichten. (APA/AP)