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Fiebertraum eines Patienten: Peer Gynt (Raphael von Bargen) zusammen mit (v. li.) Luisa Katharina Davids, Susa Meyer und Veronika Glatzner.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Wien - Das Schlimmste ist, man ist man selbst. Wer das kann, wird sogar dem Teufel suspekt. Brautraub oder Mord beeindrucken den Herren mit Klumpfuß (Alexander Lhotzky mit einem Badeschlapfen) längst nicht mehr. In seine warme Stube (am Volkstheater ist es ein Apotheker-Kabäuschen) dürfen nur die hinein, die in vollen Zügen das zu sein wagen, was sie im innersten Kern angeblich sind.

Für Peer Gynt, das norwegische Bauernkind, dessen Ich sich trotz lebenslanger Suche am Ende bloß in der berühmten Zwiebel symbolisiert: viele Schalen und kein Kern, bleibt die Tür verschlossen. Seine Seele soll - Achtung, Märchen- und Sagenwelt! - in der Masse derer eingeschmolzen werden, die es sich auf dem opportunistischen Mittelweg eingerichtet haben.

Im Krankenbett auf Weltreise

Und dabei hat der "nordische Faust" Peer Gynt alles getan, um das Große zu erreichen. Er hat sein Dorf verlassen, Frau um Frau erobert, die Weltmeere besegelt, transkontinentale Geschäfte abgewickelt: ein Global Player im Reich seiner Fantasie; am Ende war sie nicht mehr als der anhaltende Fiebertraum eines Patienten.

Denn Regisseur Michael Sturminger schickt seinen Peer Gynt (Raphael von Bargen) in einem Krankenbett auf Weltreise. Der junge Schwadroneur, heimgekehrt von einer actionreichen Jagd in den norwegischen Bergen, liegt im Anstaltsnachthemd im Bett vor seiner Mutter (Beatrice Frey). Das kühle nordische Licht ist in dieser Deutung bloß die Deckenbeleuchtung des örtlichen LKH.

Diese Kurve hat Sturminger gut gekriegt: Zum pulsierenden Herzrhythmus des Existenz-Patienten eröffnet sich der Blick auf das sich drehende, unregelmäßig zusammengezimmerte Bühnengelände; und hin und wieder kommt die Breitseite des Krankenzimmers vorm Publikum zu stehen (Bühne: Ralph Zeger). Michael Schottenberg als Arzt (und später als Knopfgießer) wirft dem Bettlägerigen bedauernde Blicke zu.

Im Bannkreis der Fantasie

In den folgenden dreieinhalb Stunden (inklusive Pause) wird Peer sein Anstaltskostüm nie ganz ablegen. Das Krankenbett ist ihm immer dicht auf den Fersen. Doch im Bannkreis seiner Fantasie ist alles anders. Da kann diesen kraftstrotzenden Kerl nicht einmal die beste aller Erbhoftöchter (Luise Katharina Davids als Ingrid) zur Ruhe bringen. Dem unvollendeten Bräutigam (Till Firit mit heruntergelassenen Hosen) raubt Peer die Braut und lässt sie dann unglückselig einfach stehen.

Auch die, die ihm wirklich gefällt, das Mädchen Solveig mit der Umhängetasche (Annette Isabella Holzmann), für die er mit einem Akkubohrer noch ein Heimchen zusammenschraubt, auch sie wird er hinter sich lassen. Denn im Dunst seiner Zigarette sieht er schon die Zukunft als Kaiser.

In seinem eisblauen Anzug ist der Aufschneider Peer, der Gesichter aus purer Freude daran einfach nur so abschmatzt, allen restlichen Gudbrandstalerinnen und -talern unlieb und fremd. Dagegen geht Raphael von Bargen in aller Physis vor. In schicken Sneakern macht er sich auf zur Entgrenzung seiner Welt. Doch schon vor seinem Aufbruch, es ist noch vor der Pause, entleert sich dieser Fiebertraum zur Selffulfilling Prophecy, der sich selbst bewahrheitenden Voraussage, die sich leitmotivisch mit den Klängen Edvard Griegs einstellt. Dabei hätte die Live-Musik von Gerald F. Preinfalk den adäquateren Ton angeschlagen.

Fabelhafte Identität

Mit dem Abklappern der bekannten, durch Sturmingers Präferenz für Sediertengelage allerdings kaum wiederzuerkennenden Stationen - Sennerinnen erscheinen hier als Krankenschwestern mit weit aufgeknöpften Kitteln, die Gesellschaft beim Halt an der marokkanischen Küste trägt Urinsackerl und nippt an der Sauerstoffmaske - gerät die Inszenierung in ein ermüdendes Räderwerk.

Sturminger bleibt zu lange bei Szenen, sodass die Dynamik verlorengeht und das Ausspielen auch betulich wirkt. Dass es zum Beginn noch um den Kampf ums Ich, um eine fabelhafte Identität ging, wurde einem weit vorm bedeutungsschweren Abspann schon vergessen gemacht. (Margarete Affenzeller/DER STANDARD, Printausgabe, 8.9.2008)