Foto: AP

Glorreiche Rückkehr eines (Anti-)Hollywoodstars: Mickey Rourke herzt seinen Regisseur Darren Aronofsky, in dessen mit dem Goldenen Löwen prämierten Film "The Wrestler" er die wuchtige Hauptrolle spielt.

Foto: AP

Ein Löwe für das Lebenswerk: Regisseur Werner Schroeter.

Ein Kampf ist ausgefochten. Der Wrestler Randy "The Ram" steigt unter die Dusche, ohne sich vorher zu entkleiden. Allmählich löst sich der Schweiß und das Blut von seinem Dress, und das Wasser in der Wanne färbt sich rot. Die Kunstfigur verwandelt sich in diesem stillen Moment zurück zum Menschen, zur einsamen Kreatur, der die Anstrengung des Kampfes immer noch anzusehen ist.

Eine charakteristische, eine eindringliche Szene des Überraschungssiegers der 65. Filmfestspiele von Venedig. Der letzte Film im Wettbewerb, Darren Aronofskys The Wrestler, wurde von der Jury am Samstag mit einem Goldenen Löwen ausgezeichnet. Ein Gewinner, der dem Kino zwar keinen neuen Weg aufzeigt - aber solche Filme waren ohnehin rar.

Mit seiner Hommage an eine grelle Subkultur, die dem Kino durchaus ähnelt, sowie an einen Star, der vom Ruhm vergangener Tage lebt, gelang Aronofsky eine fein ausbalancierte Arbeit, in der der US-Regisseur auf die optischen Vordergründigkeiten früherer Filme (Requiem for a Dream, The Fountain) verzichtet.

Zum Ereignis wird The Wrestler aber erst durch seinen Hauptdarsteller Mickey Rourke. Wie ein trauriger Koloss schreitet er durch den Film und versucht, nachdem ihm ein Herzinfarkt die Weiterarbeit als Wrestler unmöglich gemacht hat, in ein normales Leben überzuwechseln. Natürlich wirkt in dieser Rolle Rourkes eigene Starpersona fort: In den 80er-Jahren ein unorthodoxer Jungstar, verpasste er den Anschluss - nicht zuletzt deshalb, weil er für die Erfordernisse der Kulturindustrie zu wenig anpassungsfähig war. Mit einer guten Dosis Nostalgie - für die Jurypräsident Wim Wenders wohl nicht unempfänglich war - erzählt The Wrestler auch von einem grotesken Schauspielerkörper, den Rourke hier mit einiger Hingabe in die Schlacht wirft.

Politik der Kritik

Die Kritik ist in diesem Jahr mit dem Festival recht hart ins Gericht gegangen, dabei war die Mostra keineswegs schwächer als im Jahr davor. Direktor Marco Müller hat zwar einen äußerst heterogenen Wettbewerb zusammengestellt - von vier italienischen Beiträgen konnte etwa nur Marco Bechis' Birdwatchers überzeugen -, aber das garantierte immerhin eine ästhetische Vielfalt - und ein Austesten, das eben auch das Scheitern ins Kalkül zog.

Die ältesten Filmfestspiele der Welt, die bis 2011 einen neuen Festivalpalast bekommen werden, befinden sich überdies im Umbruch: Da wird jede Kritik zur Stellungnahme über das Selbstverständnis eines Großereignisses, das vielerlei Interessen vereinen soll.

Programmatische Linien lassen sich dennoch ziehen - und spiegeln sich nur zum Teil in den Auszeichnungen wider. Von der Trailerexistenz des Wrestlers ist es beispielsweise gar nicht so weit zu einer Entdeckung auf der Nebenschiene Orrizonti, Gianfranco Rosis Below Sea Level (Dokumentarfilmpreis): Mitten in der staubigen Wüste Kaliforniens hat sich eine Wohnsiedlung von "residentially challenged people" - so die Bezeichnung für Obdachlose - gebildet, in deren Existenz der Film in langen Einstellungen mittels Zwiegesprächen Einblick gewährt.

Heim- und Heimatsuche

Von prekären Lebensweisen und der Frage, wie sich in einer globalisierten Welt ein Heim - oder sogar Heimat - definieren, ja den Verhältnissen abringen lässt, erzählen zwei der besten Wettbewerbsfilme, Christian Petzolds Melodram Jerichow und Marco Bechis' Birdwatchers, die beide von der Jury übergangen wurden. Petzolds in kühlen Bildern arrangierter Film handelt davon, wie Kapital Liebes- und Freundschaftsverhältnisse verschmutzt, während Bechis' brasilianische Indios mit weißen Großgrundbesitzern einen territorialen Machtkampf austragen lässt, der in markerschütternden Schmerzensschreien ausklingt.

Um eine politische Neubelebung des devastierten poststalinistischen Russlands geht es dagegen in Paper Soldier von Aleksey German Jr., der dafür, nicht unverdient, den Preis für die beste Regie erhielt. Im Mittelpunkt steht der Arzt Daniil Pokrovsky (Merab Ninidze), der am ersten bemannten sowjetischen Raumflug mitarbeitet, von dem er sich einen Modernitätsschub für die ganze Nation erhofft.

German Jr. verfügt über eine äußerst individuelle Ästhetik; in ausgetüftelten Einstellungen, die sich wie Fenster in die Welt öffnen, wird der Raum in seiner ganzen Tiefe genützt und wirkt dennoch arg beengend. Wenn man den Figuren zusieht, wie sich ihre Hoffnungen aufreiben, fühlt man sich an Tschechow erinnert, an dessen leisen Tonfall der Vergeblichkeit.

Dies - Kathryn Bigelows The Hurt Locker wäre noch zu nennen - sind alles Filme, deren Politik in ein überschaubares Drama eingekapselt ist, das auf keine Totalität zielt. Dies sind Filme, die auch davon erzählen, dass das Kino über keinen Deutungsanspruch mehr verfügt, sondern sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten und Stilen durch die Gegenwart bewegt. Haile Gerimas Teza (Spezialpreis) über die Verwerfungen seines Landes Äthiopien erscheint wohl auch deshalb so zerrissen, weil er noch einmal voller Wut Politik und Historie zusammenbringen will. Aber auch diese Kämpfe sind - vorerst - ausgefochten. (Von Dominik Kamalzadeh aus Venedig/DER STANDARD, Printausgabe, 8.9.2008)