Tierschützer und Justiz: Die Warnschüsse der Macht

War Wilhelm Busch (nicht Bush) ein Schreibtisch-terrorist? Nach den Vorstellungen Wiener Neustädter Ermittler war er es. Denn mit dem aufmunternden Hinweis auf das Ansägen der Brücke vor einer Schneiderei hat er zu einer Tat mit möglichen Todesfolgen aufgerufen. Eine solche Tat wird auch den vor einigen Tagen enthafteten Tierschützern vorgeworfen - Jagdhochstände angesägt zu haben. Die Zeiten ändern sich. Bubenstreich oder nicht?

Natürlich nicht. Und wenn es Beweise geben sollte, dann müssten die Täter auch bestraft werden. Wie im Falle von "Schüttaktionen" gegen Geschäftsleute. Ironie: Vor einer Wiener Galerie hat es einmal sogar das Auto von Hermann Nitsch selbst erwischt.

Die Causa Martin Balluch und Co ist nur kein mutmaßlicher Kriminalfall allein, sondern sie reicht als Exempel weit über das Vorgehen gegen aggressive Tierschützer hinaus. Es geht um das Verhalten von Polizei und Justiz gegenüber Dissidenten.

Warum die skandalös lange inhaftierten Tierschützer besonders lästig wirken? Weil sie Angriffe auf mächtige Kreise der österreichischen Gesellschaft gestartet haben. Balluch und Co haben die Jägerschaft derart aufgebracht, dass diese zum Beispiel im Burgenland eine Art Bürgerwehr organisiert hat. Die allerdings auch von der Polizei laufend über Fahrtrouten und Aktivitäten der Tierschützer informiert wurde. Balluch und Co haben nicht nur (mutmaßlich ungesetzlich) Handelsketten attackiert. Die von der Polizei immerhin gestatteten Schreiorgien vor Kleider Bauer in der Mariahilfer Straße sind für Angestellte der Läden und für Passanten schwer verträglich. Agrarlobby, Handel und Werbeagenturen empfanden daher "klammheimliche Freude" über das harte Vorgehen gegen die Tierschutzorganisationen.

Trotz der Haftentlassung durch die Oberstaatsanwaltschaft, trotz der richtigen Reaktion der Günen, Martin Balluch auf die Kandidatenliste zu setzen, sollte verlangt werden, wie im Fall Kampusch eine Untersuchungskommission einzusetzen. Unter dem Vorsitz eines ehemaligen Oberstrichters (Adamovich oder Korinek) müsste das Vorgehen von Polizei und Justiz analysiert werden.

Heinz Patzelt, der österreichische Sprecher von Amnesty international hat Sorge, dass mit dem Antiterrorparagrafen des Jahres 2002 wie im Fall der Tierschützer nun generell "mit lästigen Aufmüpfigen", mit Dissidenten also, aufgeräumt wird. Das heißt: Nicht um eine Abschaffung des Paragrafen 78a ginge es, sondern um eine präzisere Fassung.

Noch ist Österreich ein Rechtsstaat. Aber der Trend zum Macht- und Überwachungsstaat nimmt zu. Nach Einschätzung Patzelts rücken wir Italien näher, wo der Rechtsstaat erodiert. Überall in Europa gäbe es Missbräuche, registriert amnesty. Weil der Rechtsstaat ja auch von Radikalen angegriffen werde. Nur: In Großbritannien zum Beispiel folgt auf jeden größeren Fehler von Polizei und Justiz eine öffentliche Debatte. In Österreich wird zunächst abgeblockt und vertuscht, irgend wann einmal ein bisserl was zugegeben.

Fazit: Wir brauchen wie in den USA eine neue Politik. Und eine andere Führung im Innenministerium.(Gerfried Sperl/DER STANDARD Printausgabe, 8. September 2008)