Roos im Netz: "Mittlerweile gugle ich wie ein Weltmeister, spiele mit den Fotos herum, transkribiere meine Montblanc-Manuskripte ..."

Foto: Corn

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Ich schreibe Alles mit der Hand.Was ich in den Fingern habe, ist Verlängerung von Hirn, Herz, Haut, Hornhaut, Hoden, Hören. Nase. Mund. Mein Füllfederhalter bin ich. Er setzt den Finger fort. Er ist reine Funktion des Körpers, als Exekutive sein ausführendes Organ. Was die Physis selbst nicht mehr vermag, setzt er um. Aus der Prothese fließt der Gedanke auf das Papier, aus Äther wird Materie.

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Ich schreibe immer und überall. Schreiben ist ein physischer Vorgang. Ein Verfahren der Hygiene. Eine Angelegenheit der Ausscheidung. Eine Intimität: Kuss, Kot, Koitus; Hand anlegen, Hand auflegen; schmusen. Schreiben ist Nähe, wie warm oder kalt sie auch sei. Ich schreibe immer und überall. Kein Kleidungsstück, dessen Taschen nicht mit Papier und Stift bestückt sind. Überall in der Wohnung liegen Block und Bleistift, am Bett, auf dem Closett, neben der Couch, auf Esstisch, Küchentisch, Vorzimmertisch, über dem Fernsehgerät. Im Auto. In der Satteltasche des Rennrads neben Schrauben, Schlüssel, Ventil, Notgroschen. Es könnte mir ja etwas einfallen.

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Fünfundvierzig Füllfederhalter residieren auf meinem Schreibtisch. Mein erster Schulfüller, ein "Kaweko" , funktionstüchtig wie der antike "Pelikan" , den mein Großvater Paul schon benutzt hat zum Komponieren seiner Choräle. Daneben das "Meisterstück" von "Montblanc" , mit dem Vater seine gestochen scharf geschriebenen Briefe signierte. Eine Hundertschaft gespitzter Bleistifte. Kugelschreiber, Edles unter Plaste-&-Elaste-Exemplaren von Kreissparkasse und Hotelnachttisch. Drehbleistifte, Architekten- und Zimmermanns-Blei. Lineal, Büroklammer, Briefbeschwerer im Dutzend. Schere, scharf. Skalpell, scharf. Uhu, Tipp-Ex. Die verschiedensten Papier-Sorten aus den verschiedensten Papeterien verschiedenster Länder, Druckereien, Buchbindereien, Papiermühlen - jedes Thema hat das Recht auf die ihm angemessene materielle Verwirklichung.

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Ich schreibe Alles mit der Hand. Wenn ich Alles mit der Hand geschrieben habe, übertrage ich das Handgeschriebene auf der Schreibmaschine. Je schwieriger Thema und Text, desto älter und schwerer die Maschine. Gedichte wollen prinzipiell von der Handschrift via "Erika" , Tante Gertrautes schwarzlackierter mechanischer Reise-Schreibmaschine Baujahr 1920 im schwarzen stoffbezogenen Holzköfferchen, in die Objektivierung des Schrift-Bildes gehoben werden. Bevor jedoch die Endfassung als Reinschrift - halt! Davor kommen natürlich Lineal, Schere, Skalpell, Tipp-Ex, Radiergummi, Uhu, Tesafilm und andere Hilfsmittel zum Einsatz, um Einschübe, Variationen, Verbesserungen auszuschneiden, einzufügen, rauszuschmeißen, zu montieren, zu collagieren. Dann erst kann die Endfassung als Reinschrift - dann erst also kann sie, die heilige, virginable Reinschrift auf der IBM-Kugelkopf mit Korrekturband elektrisch hergestellt werden, aber nicht, bevor noch eine weitere Forderung des Handwerks erfüllt ist:

Das Poem postuliert gegebenenfalls eine zusätzliche, mechanisch leichter zu bewerkstellende Transkription mit Mutters "Olympia", Baujahr 1950, grünmattiert, im silbermetallique glänzenden, zeitgerecht gerundeten Holzkoffer. Heißt: Kein Motor treibt an, kein Gesumm perforiert und penetriert den unruhigen Frieden der Inspiration. Und die widerständige Mechanik ist zusätzlich eingebaute Kontrolle gegen schnellen Wortwechsel.

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Auch für auswärtiges Schreiben bin ich eingerichtet. Geräuschlos und unauffällig hänge ich in diversen Logen diverser Kaffeehäuser meinen Gedanken nach und bringe sie zu Papier, notfalls auf erbetenen Brauerei-Bestell-Blocks des Oberkellners.

Um der Auto-Erotik des Schreibens Befriedigung zu verschaffen, hat mir Schreiner Manfred eigens im Durchmesser des Lenkrades meines VW-Variant ein Holzbrett getischlert, das ich bequem auf das Steuer auflegen kann, Papier oben festgehalten von kräftiger Chrom-Klammer, unten fixiert vom blauen Einmachglasgummi - derart ist mir auch bei 160 km/h kaum weltbewegendes Gedankengut verloren gegangen, und manche rasante Rezension musste nicht auf so genannten "Nothaltebuchten" geboren werden! Dort und an Parkplätzen und Raststätten, wo seit einiger Zeit auf dringenden Wunsch meiner Liebsten und der Autobahn-Polizei diverse meiner Textgattungen das Licht dieser schnöden Tankstellenwelt erblicken müssen.

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Und jetzt soll ich mich auf Computer umstellen? ICH? MICH?

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Von Anfang an habe ich DENCOMPUTER als Bedrohung empfunden. Plötzlich gab es ihn. Ich hatte nichts bemerkt. Plötzlich standen überall diese Getüme herum und verunstalteten die Silhouetten der Schreibtische. Was früher "desk", war zu Labor geworden. Ungeziefer. Amphibien. Invasionen von hässlichen, krankenhaushellbeigen, übelriechenden, staubfangenden, misstönenden, gepanzerten Untieren waren über Nacht über alle waagrechten Abstellflächen des Landes hergefallen, irgendwie kakerlakenhaft hochgeklettert oder gelsig heuschrecklich von irgendwo angeflogen, hatten sich niedergelassen und saßen nun da, da, da. Und kein einziges Unwesen ward mehr entfernt. Niemals wieder. Nimmer-mehr.

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Warum hatte ich nichts bemerkt? Wo ich mich doch für einen der größten Wahrnehmungsgeier halte, dem angeblich nahezu Nichts entgeht? Eine Revolution nicht bemerkt. Ich? Revolution? Revolution, die der "Fremdwort-Duden" auf seiner Seite 683 als "Umwälzung der bisher geübten Praxis durch neue Erkenntnisse u. Methoden" definiert.

Es war passiert.

Was war geschehen?

Schlug zu meine Technikfeindlichkeit? Die uralten psychodramatischen Schul-Noten 4, 5 und 6 in Chemie, Mathe, Physik? Schlug zu Großvater Paul, der Kirchenmusiker, für den nach Bach die Musik aufhörte, Beethoven Bedrohung war? Oder war's Vater, der zuschlug mit seiner Idiosynkrasie gegenüber dem Telefon?

Es war die reine Angst.

Wo ich mich doch gerade erst mit Müh und Not an "die Elektrische", also die IBM-Kugelkopf-Schreibmaschine mit Korrekturband angenähert hatte, sie mittlerweile gar lustvoll zu bedienen verstand; oder den Kopfhörer (!) eines Walkman im Ohr! Wie auf einem psychischen Außenposten positioniert, konnte ich an mir beobachten, dass in mir, ohne mein Mit-Tun, die schwere stählerne Seelensafe-Schutztür mit aller Sicherheit zügig sich auf ihr Schloss zu bewegte, um mit irreversibler Bestimmtheit einzurasten.

War es so?

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Es muss so gewesen sein.

Der Computer war die bisher größte Bedrohung meines Lebens von außen. Wie Krieg. Fassungslos, als ich realisierte, was da auf meine Lebensbahn eingeschert war. Was sich auf der Überholspur breit macht, während ich zwischen Standspur und Grasnarbe hin- und her torfe. Wie Mutter erzählte, als Großmutter sagte: "Es gibt Krieg!"

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Es war so.

Dass ich mich gar nicht um mediale Innovationen kümmern musste. Ich hatte eine wohleingerichtete Schriftstellerei. Die Werkstatt funktionierte tadellos. Alles Arbeitsgerät, alle Instrumente in Top-Zustand. Bibliothek, vor allem die Duden- und Lexika-Sammlung auf dem neuesten Stand, Handapparate immer zur Disposition, und wenn ich in die Bibliothek musste, waren immer hilfreiche Geister zur Stelle, die dem PC-losen Pater die ‚Fische aus der Mikro‘, wie ich "microfiche" nannte, holten. Meines Handwerks sicher - die Schriftstellerei ist Luftkutscherei genug, da müssen wenigstens Hammer und Sichel, Füller und Blei Gewehr bei Fuß liegen.

Also.

Warum Computer? Wo ich doch die Bilder beim Fernsehen schon überflüssig fand!

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Irgendeine irrsinnige Irritation. Großvater in seinem Orgelgehäuse, ich denke an ihn; ich erinnere die Sommerferien mit Vater im Allgäuer Pfaffenwinkel, von Kloster zu Kloster wallend, inbrünstig mir Inkunabeln zeigend, Folianten tonnenschwer, messingbeschlagen, ledergebunden, alles über Schreiben, Lesen, Bücher und Buchdruck vor und nach 1500 erklärend - unendliche Geschichten, mit denen er mich anwerben wollte für alles Papier- und Feder-Zeug dieser Welt. Denn ich war der miserabelste Schüler der Welt, der die schlechtesten Diktate der Welt schrieb, der Bücher und Lesen hasste wie nichts sonst auf dem Globus.

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Plötzlich war mir alles Pergamentöse goldwert und - vom PC bedroht.

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Ein paar Jahre ging das gut. Natürlich wurde ich stets befragt ob meiner Abstinenz. Die Fragen wurden ab 1990 immer weniger "fragend". Sie wurden rhetorisch, sie wurden aggressiv. Unendlich die Erläuterungen, Erklärungen, Bedrängungen. Drohungen, Übergriffe.

Es ging also nicht mehr so gut.

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1980 passierte es das erste Mal. Gerade war ich mit meiner Kurzprosa Von der Abschaffung des Tageslichts beim Bachmann-Text-Contest in Klagenfurt durchgerasselt worden, als mich der Literaturchef der Stuttgarter Zeitung, Herr Skasa, diesen Abend lang am Wörthersee hysterisiert-fanatisch mit seiner Computerkultur agitierte. Meine Abwehr alkoholisiert, aber sehr selbstsicher. Jedes seiner Worte bestätigte mich. Und in den Jahren danach kommt immer wieder die helle Freude auf, wenn er mir von abgestürzten Programmen wehklagte und trauerte um die ultimativen Leitartikel, die finalen Feuilletons, die in irgendwelchen Nirwanas verschwunden waren.

"Wunderbar!", dachte ich. Passiert dir so etwas? Abstürzen? "Ätsch!", dachte ich. Texte? Flugzeuge, ja. Aber Texte? Abstürzen? "Mir nicht, Herr Skasa! Mein Pelikan fliegt, und Kaweko, Montblanc, Erika, Olympia stürzen nicht ab, brauchen nicht einmal Strom!"

2000 wurde er dann massiv, der Druck. Als die Leiterin des Reclam-Verlag Leipzig einen ihrer hysterischen Anfälle bekam angesichts meines Männerbriefromans, 450 Manuskript-Seiten, Papier pur: "Wo ist die Diskette?"

Diskette? Ich wusste nicht, wovon sie sprach.

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Ich wurde sogar als PC-Hinterwäldler in eine Talg-Schau eingeladen, in der das Münchner Fernsehen die Computer-Euphorie ihre volle Erektion ausfahren ließ. Die ersten 30 von 80 Minuten habe ich geschwiegen - was hätte ich auf diesem PC-Planeten auch mit-IT-jargonieren sollen? Bis mein Nebensitzer, der bayerische Kultus-Minister, auf mich und mein Stille-Sein aufmerksam wurde, eine Stellungnahme erbat - wo ich doch von der Redaktion eigens als der renitente "trouble-maker" aus der urig vorsintflutlichen Spessartwaldhöhle zu Motz+Stunk eingeladen war. Mein melancholisch-resignativ-trotziges Plädoyer für die Handschrift gefiel dem Politiker; er lud mich in seine Münchner Residenz zu Tee und Törtchen ein: "Mei, Sie san ja a ganz a Spezieller!"

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Ich war längst ausgegrenzt. Ich hatte es nur noch nicht gemerkt. Gutgemeinte Ratschläge überhört. Warnsignale verdrängt. Und auf Ratschläge war ich mittlerweile allergisch, hochallergisch. Unvorstellbar die missionarischen Predigten, Bekehrungsattacken, Füllfederhalter-Exorzismusexerzitien, die die Eiferer aller "iBooks" vom "Word" -Himmel auf mich niederbrowsern ließen, wahre Gottesdienste mit Abendmählern und Heilslehrenhostienverabreichungen, selbstverständlich ungefragt, Rat-Schläge eben: *Wie einfach, wie zweifach *mein Vater ist 86 und sitzt den ganzen Tag vor seinem Bildschirm *wir leben im 20. *im 21. Jahrhundert *Sie gehören doch noch nicht zum alten Eisen *Randausgleich *Zeilenzählen *Das ist doch Alles psychologisch *Rechtschreibung *Stellen Sie sich nicht so an *Alles geht viel schneller. Plus 1001 weitere Beispiele.

Ich schwieg die PC-Priester nur noch aus und widmete ihnen das fette FUCK YOU! meines mentalen Stinkefingers. Fortan Seltenheitsmitglied einer bildschirmlosen Minderheit, galt ich als der mediale Sonderling, gerade noch toleriert. Dezent war mein liebster Chefredaktor Dr.S., der die Runen meiner Manuskripte erbat oder eine Brieftaube. Lieb - Lektor K. fragte nach der Pergament-Rolle aus meiner Klosterschreibstube. Korrektor G. wollte wissen, ob die Weihnachtsgans schon geschlachtet sei - für die Erzeugung der Feder zur Erzeugung von Texten!

Einem Kultur-Magazin, erst geil auf meine angeblich "unverwechselbare Schreibe (!)", war ich dann gleich zu teuer, weil ohne PC zu langsam und ohne PC inhaltlich nicht auf der Höhe der Zeit!

Auf der Höhe der Zeit.

Der ZEIT-Literatur-Leiter G. jedoch ruft durchs Telefon: "Halten Sie durch! Ich stelle Sie unter Denkmalschutz!" Anerkennung, Bewunderung auch von anderen Nanomikropromillmenschen: "Sie Glücklicher!" Und: "Weiter so!" Man schenkt mir Füllfedern, antike Tintenfässchen, vergoldete Feder-Halter, poröse Radiergummis aus der VEB DDR, 4 x 500 Blatt Kunstdruckpapier. Alte mechanische Schreibmaschinen werden generell unter meiner Adresse entsorgt. "Sie sind so herrlich altmodisch!", nahezu liebevoll der Rezensent Dr. H., fast sorgenvoll weiter: "Aber auch a bissi schrullig!"

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Hatte ich gerade unter Qualen einen Fernbild-Apparat, deutsch "Fax-Gerät" angeschafft, blöfft mich doch einer dieser gegelten PR-Lackaffen mit seinen 30 Jährchen und einem Magistertitelchen am Hintern an: "Was ist das, ein Fax!" Assistiert von der Pressetussi eines Kremser Museums: "Waaas!" Pause. "Sie haaaben ka-i-nen" , Pause, "PeeeZeee!"

Hatte ich ihr einen eitrigen Furunkel an einem Aids-Penis gezeigt, oder was?

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Jedenfalls wurde bereits mit dem Finger gedeutet im vollmedialisierten Windkanal der Kulturindustrie. Auf mich. Ich war zum Amusement geworden und gerne Gegenstand von Überheblichkeit. Ein Urheberrechtsanwalt aus dem Hanseatischen apostrophierte mich als "Tinten-Kohlhaas auf verlorenem Feder-Posten!" Und Du bist ein präpotentes Arschloch mit Deinem phallusdicken conspicuous-consumption-Montblanc in Deinem armseligen BOSS-Hühnerbrusttäschchen.

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Okay. Der Modernisierungsverweigerer war als Outcast negativ sanktioniert. Jede Revolution produziert Sieger und Verlierer. Okay. Vor allem die Intellos der Medien-Revolution produzieren Sieger und Verlierer. Die alte Elite wird entmachtet, die sozialängstlichen PC-Parvenus wollen sich die freigemailten Positionen sichern. Also, dachte ich nicht unstolz: Alte Elite, toll, muss auch sein - weiß ICH wenigstens noch, was Inkunabeln sind, dass man Goldfedern erst auf die eigene Hand hin einschreiben muss, ganz zu schweigen davon, dass Füllfederhalter nach einer Füllung mit schwarzer Tinte auszuwaschen sind, nicht wahr. Wegen Eisengallus-Gehalt. Ebend.

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Sollte ich mich in der Rolle als Gaga-Gespött häuslich einrichten? "Was schreibt die Randgruppe Roos so zur Zeit?", fragte Lit-Agent Mag. Anus frech.

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Ich hatte mich gerade tierisch gefuchst über die Reisebürotrulla, die mir den Weg von Wien nach Würzburg buchte - über Zürich! Tags zuvor der Bankschaltermacker, der mir ein paar Dollaren in Euro umrechnen sollte; mit 54 Stellen hinter dem Komma kam er an, wollte aber statt 100 ganze 10.000ende Euros haben. "Sind Sie von Sinnen!", schrie ich von Sinnen. Die Antwort unisono: "Ja, aber DERCOMPUTER!"

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Der PC als Menetekel der Zeit.

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Kein Dissident! Kein Konvertit! Kein Proselyt!

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Ich habe mir eine Computer-Lehrerin gefunden. Ihre erste Frage: "Was wollen Sie lernen!"

Sie hatte mich gewonnen.

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Zwei Jahre zuvor schon hatten mir Spezialos von "Tools at Work" das hyperbeste, eleganteste Equipment erworben, das ich im Originalkarton verschlossen 24 Monate sanft ruhen ließ. War ich noch nicht reif? WG? Ehe ohne Trauschein? Wir mussten uns erst aneinander gewöhnen!

Ein befreundeter Seelendoktor hatte mir immer wieder von der steigenden Zahl seiner, wie er sagte, "PC-Patienten" berichtet, von "den geschlossenen Gesellschaften der psychopathofaschistoidolibidinödipussyschizofrigiden Fuzzis" , die die eigentlichen "Gagaisten" seien - nicht ich. Danke, sagte ich, danke Herr Doktor. "Gesundes Misstrauen gegenüber den PC-Pestiziden" sei "angesagt" . Dennoch empfehle er mir da, Einiges zu überdenken, vielleicht zwei Mal die Woche 40 Minuten à 200 Euro, 52 Wochen lang. Natürlich nicht bei ihm!

Birgitta und diverse Studenten bedienten für mich mittlerweile DENCOMPUTER - längst hatte ich ohne Zähneknirschen erkannt, welche Möglichkeiten diese Revolution anbot. Aber, die feinen Füllerfingerchen wollte ich mir mit diesem neuen Produktionsmittel nicht beschmutzen.

Ich hatte, ja ja zugegeben!, auch bereits 2, 3, 4 so genannte IT-Didaktiker verschlissen, die Nullkommanix didakten konnten; vor allem waren sie nicht psychotherapeutisch geschult. Ich war an verschrobene Sozialspastis aus der Yeti-Eitiiie-Sekte geraten, die in ihren Parallelwelten von Brausern, Blockern, Ruhtern, Tschibbs und Tschettruhms drifteten, spinnöse Junichtse, die die Welt als Festplatte sahen und nicht mehr als Kugel. Bald wusste ich, welcher Meikel Törner und welche Tiena Tschäkssen wann wo wie warum welche Weiche zum wievielten Mal erfunden hatten, und dass sie locker den CIA-Computer zusammenhäckern könnten - schließlich hätten sie ja auch den PC des Ex geknackt!

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Wie ich es gelernt habe, weiß ich eigentlich gar nicht!

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Meine Magistra jedenfalls habe ich dafür geliebt. Für was? Dass sie einfach angefangen hat, als wäre Nichts. Und dafür, dass sie gesagt hat: "Der Kompjuter ist auch nur ein Mensch!"

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Mittlerweile gugle ich wie ein Weltmeister, spiele mit den Fotos herum, transkribiere meine wunderbar preziösen und pelikanösen Montblanc-Manuskripte, und - ATTENZIONE! - schreibe genau jetzt in dieser Sekunde direttamente diese luziden Zeilen auf den Bildschirm meines laborweißen WORD iBook G4 in der Schrift meiner Wahl mit der mir angenehmen Letterngröße, der 200%en Bodoni. Toll, was!

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Wer hätte das gedacht? Ich nicht! Auch nicht einige Hardcore-Verweigerer, die mich immer zum Präsidenten des Clubs küren wollten: Ich hätte klein beigegeben, ich hätte mich unterworfen, ich sei zur Strecke gebracht, ich sei ein elender Einknicker!

Wer hätte das gedacht? Meine Magistra auch nicht, die Lehrerin, die Laptop-Fee, Kindergärtnerin, Krankenschwester, Sozialarbeiterin in Sachen "PC-Problem Peter Roos" . Sie öffnete mich, machte neugierig, zeigte den Spaß und nahm mir die Angst vorm Gerät. Eigentlich habe ich ja nur ein neues Werkzeug dazu gewonnen und bin dabei, es in meinen Fuhrpark einzugliedern.

Nur ein neues Werkzeug? Mit der Welt, die dahinter steht, möchte ich Nichts-aber-auch-Nichts zu tun haben. Oder klickte jemand jemals "Ficken in Wien" an - Sie wissen, was ich meine! Meine Computer-Magistra - die Angst vor dem System hat sie immens erhöht - war auch keine Kunst!, ist auch berechtigt! Jetzt ahne, ahne ich erst, was da Alles sein kann!

Über den Wolken orte ich den elektronischen Super-GAU, während hinieden die Datenschützerleins im Ruderbötchen auf dem §enteich herumschippern, als wäre DERCOMPUTER unter Kontrolle zu bringen. Kontrolle!

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Ich mag gar nicht darüber nachdenken angesichts meiner unschuldigen collection fountainpen, die garantiert mein schlechtes Gewissen spürt. Bei Seitensprung und Verrat ertappt! Auch klapperten "Erika" und "Olympia" des Nachts im Albtraum bereits bissig mit ihren Tastenzähnen an ganz empfindlichen Körperteilchen herum! Wohl wissend, dass meine Liebe einzig+alleine ausschließlich ihnen gilt - bis dass der Tintentot uns scheidet!

(Peter Roos, ALBUM - DER STANDARD/Printausgabe, 06./07.09.2008)