Wien - Das Hemd ist näher als der Rock, und das Knie schmerzt ärger als das Trommelfell. Die letzterwähnte Erfahrung konnte man im Theater an der Wien Jahrzehnte hindurch immer wieder machen. Doch damit ist es nun endgültig vorbei.

Seit vergangenem Mittwoch dürfen nicht nur Pygmäen und Zwerge in den Sesselreihen dieses Etablissements Platz nehmen, ohne dass sie Gefahr laufen, ihren unteren Extremitäten ernsthafte Blessuren zuzufügen. Von nun an bleiben auch die Knie normal gewachsener Mitteleuropäer unverletzt. Diese können in dem um zwölf Zentimeter vergrößerten Abstand zwischen Sitz und vorderer Sessellehne geradezu Allotria treiben, die sich auf der Bühne, wo die von Riccardo Muti geleiteten Wiener Philharmoniker Platz genommen hatten, fortzusetzen versprach.

Denn das Programm, mit dem sie die Saison der Opernbühne am Naschmarkt zu eröffnen gedachten, war ganz dazu angetan, die Genäschigkeit des Publikums und - nach dem einmonatigen Aufenthalt in der strengen Kammer der Salzburger Konzertkonzeption - wohl auch die der Philharmoniker zu befriedigen.
Denn auf dem Programm stand eine Kombination von Werken, die sich hierzulande ganz und gar nicht schickt, aber gerade deshalb hoch willkommen schien.

Begonnen wurde mit der Ouvertüre zu Giuseppe Verdis Giovanna d'Arco, an die sich dann noch vor der Pause Verdis umfängliche Quatre saisons genannte Ballettmusik schloss, die er für den dritten Akt seiner Oper Les vêpres siciliennes geschrieben hat.

Getrübtes Ohrenglück

Kann aber sein, dass die Trommelfelle der Zuhörenden weniger glücklich waren als deren Knie. Offenbar dachten die Philharmoniker und auch Muti, dass man diese Stücke ja wohl auch vom Blatt spielen kann. Dem war aber doch nicht ganz so. Nach einem von den Streichern hinreißend gemeisterten Beginn der Giovanna d'Arco-Ouvertüre verfiel das spielerische Niveau in den Holzbläsern doch zu einigermaßen enttäuschender Alltäglichkeit, die die Freude am Programm erheblich dämpfte. Auch die Wiedergabe der folgenden Ballettmusik erreichte nicht ganz jenes hochgestochene Niveau, das diese couragierte Werkwahl gerechtfertigt hätte. Wie sich herausstellen sollte, hat man sich bei der Vorbereitung dieses Konzertes vor allem auf dessen zweiten Teil konzentriert, der jenseits aller Programmkonvention Nino Rota (1911-1979) vorbehalten war, der vor allem für seine Filmmusiken zu Weltruhm gelangte.

So hat die Mailänder Scala schon vor mehr als 40 Jahren seine Musik zu La strada im Anschluss an die Salome von Richard Strauss als Ballett aufgeführt. Im vorliegenden Fall wurde ein Posaunenkonzert gespielt, in dem das Philharmoniker-Mitglied Jan Bousfield brillierte und das in seinem ersten Satz an die klassizistische Phase von Igor Strawinsky erinnerte, mit dem Rota befreundet war.

Mit der symphonischen Suite aus seiner Musik zum Visconti-Film Il gattopardo erwies man Nino Rota allerdings keinen guten Dienst. Die melodische Substanz stand zur Länge und Langweiligkeit des Werkes in keinem Verhältnis. (Peter Vujica, DER STANDARD/Printausgabe, 05.08.2008)