Von Übertreiber zu Übertreiber stellte der Chefredakteur der "Presse" zu Schul- und Wahlkampfbeginn dem sozialdemokratischen Spitzenkandidaten unter dem Titel Der Übertreiber der Zweiten Republik eine verbale Beurteilung aus, die sich vor allem aus der nonverbalen Einschätzung des ÖVP-Spitzenkandidaten speiste. Kommt dieser in dem von Michael Fleischhacker gewohnheitsmäßig abgesonderten Katastrophenresümee zur Lage der Nation überhaupt nicht vor, promoviert er diesmal Werner Faymann zur Symbolfigur des heiß beschworenen Endes: Er stellt, wenn man so will, die Fleisch gewordene Zweite Republik dar, ihren Höhepunkt und hoffentlich auch ihren Untergang.

Mit dieser leichten Überschätzung Faymanns gibt der "Presse"-Chef zu erkennen, dass keiner so gründlich auf die erkauften Lobhudeleien der "Krone" hereingefallen ist wie er. Da hätte man sich von jemandem mehr erwartet, der doch sonst im Unterschied zum Rest der Schwachköpfe, mit denen er sich dieses Land teilen muss, alles durchschaut. Niemand vor Faymann hat das System der Verflechtung, Verfilzung und Hinterzimmerpolitik so umfassend auf die Person gebracht, wie der sozialdemokratische Kanzlerkandidat, niemand hat es auch so perfekt verstanden, die Demokratiedefizite, das strukturell Korrupte und die langfristigen Schäden dieses Systems einfach wegzusüßeln.

Anderen wäre da vielleicht spontan ein aus Kärnten stammender Finanzminister eingefallen, der seine Rolle als Wegsüßler von Verflechtung, Verfilzung und Hinterzimmerpolitik problemlos aus dem ÖVP-Vorstand in die große Welt der Fonds gerettet hat. Aber wo Verflechtung, Verfilzung und Hinterzimmerpolitik seit Jahrzehnten als politische Praxis schlechthin zur Kenntnis genommen wird, wird gleich der Untergang ausgerufen, wenn sich andere auch einmal ein wenig verfilzen wollen. Und das nicht etwa in Form von Hinterzimmerpolitik, sondern in Form eines offenen Briefes an den sehr geehrten Herrn Herausgeber. Sogar Jörg Haider habe in Faymann - wenn man abgefaymt genug ist (Obacht, Esprit!) - seinen Meister gefunden: auch er übertreibt die politische Wirklichkeit, allerdings ins absurd Positive.

Worin das absurd Positive wohl bestehen mag, erklärt Fleischhacker leider nicht. Aber als Mensch, dem alles Strukturkonservative ein Gräuel ist, weiß er: Mit Hans Dichand im Rücken, gegen dessen Strukturkonservativismus sich selbst die ZK-Mitglieder der chinesischen Kommunisten ausnehmen wie das Personenregister eines Schillerschen Freiheitsdramas, kann Faymann die Volksverblödungsmaschine vielleicht noch eine Weile am Laufen halten. Als ob die je einen Faymann gebraucht hätte, wo doch auch ein Erwin Pröll seit langem für Öl im Getriebe sorgt!

Es bedenkt ja keiner, und Fleischhacker schon gar nicht, was Faymann der "Kronen Zeitung" da aufgeladen hat. Nicht nur, dass der Hausdichter nun bis auf weiteres Böses über die ÖVP bzw. Erhebendes über den SPÖ-Chef reimen muss, was seinen lahmen Pegasus auch nicht beflügelt, nein, schlimmer: Die "Krone" wird hemmungslos attackiert! Einige Blätter haben am Samstag berichtet, war dort am Sonntag zu lesen, dass "die ÖVP der ,Kronen Zeitung' den Krieg erklärt" habe. Einen Vorgeschmack, was damit gemeint sein könnte, haben wir in der Redaktion bereits erlebt.

So hat unmittelbar nach Erscheinen des Exklusiv-Berichts über die gestohlene Handtasche von Dr. Maria Fekter einer unserer Reporter ein SMS auf sein Diensthandy erhalten - dieses SMS kam direkt von einer engen Mitarbeiterin der Innenministerin. In dieser Nachricht hieß es, es wäre "mehr als mies", dass über diesen Diebstahl berichtet worden wäre. Statt also für die Sicherheit der Österreicher zu sorgen, wird also in dem seit mehr als acht Jahren von der ÖVP dominierten Innenministerium mit solchen Methoden gegen unabhängige Journalisten vorgegangen. Und die "Krone" kann sich gegen diesen ungeheuerlichen Angriff auf die Pressefreiheit nicht einmal mehr beim Presserat beschweren! So ein Pech.

Übrigens, wie wenig gerechtfertigt Fleischhackers Aufregung über Faymanns Verfilzung mit der "Krone" ist, entlarvte Montag deren Herr Strudl. "Wann der "Krone" a Politiker sympathisch is, dann bekennt sa si offen dazu. Komisch is nur: Während es die ÖVP beim Grasser net im Geringsten gstört hat, macht s' beim Faymann plötzli a Staatsaffär draus."

Ausgerechnet in der Nachfolge Grassers zum Darling der "Krone" aufzusteigen mag andere mehr stören als Faymann. Aber dessen Ende sollte zu denken geben. (Günter Traxler/DER STANDARD; Printausgabe, 2.9.2008)