Konservativer Finanzminister mit liberalem Kulturbegriff: "Oft muss in der Kunst Abstoßendes geschehen, damit Anziehendes entsteht", sagt Wilhelm Molterer.

Foto: DER STANDARD/Robert Newald

"Beim Leistungspflügen mit dem Traktor geht es um Geradlinigkeit, Tiefgang und ein harmonisches Gesamtbild. Und das gefällt mir."

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Standard: Sie sind ein bibelfester Mensch. Woran orientieren Sie sich: am Alten oder Neuen Testament?

Molterer: Überhaupt keine Frage, dass das Neue Testament die Basis des christlichen Glaubens ist. Das Alte Testament beantwortet viele Fragen nicht.

Standard: Das Alte steht für Rache, das Neue für Vergebung. Demnach müssten Sie der SPÖ, die sie im Nationalrat überstimmen will, auch die andere Wange hinhalten.

Molterer: Der Glaube ist privat. In der Politik setzt man sich natürlich zur Wehr, wenn es nötig ist. Oder glauben Sie, dass man sich alles gefallen lassen kann?

Standard: Wie wollen Sie die Retourkutsche beladen?

Molterer: Zunächst ist mir wichtig, dass wir gemeinsam beschließen, was Sinn macht: Die 13. Familienbeihilfe und die Erhöhung des Pflegegeldes. Aber wenn die SPÖ freie Mehrheiten im Parlament will, dann wird auch uns etwas einfallen. Denn ich halte Werner Faymanns Vorgangsweise für absolut unprofessionell. Wenn ich zusammenrechne, was die SPÖ alles durchbringen will, bin ich schnell auf über 15 Milliarden Euro. Bei so einem Unsinn werde ich sicher nicht mitmachen.

Standard: Faymann schmeißt lächelnd mit Geld um sich, während Sie mit ernster Miene verkünden: "Das können wir uns nicht leisten." Kann man so Wahlen gewinnen?

Molterer: Für mich gibt es eben die Kategorien richtig und falsch. Man muss den Leuten auch unangenehme Wahrheiten zumuten: Wir haben nach wie vor ein Budgetdefizit und Schulden - für die Zinsen zahlen wir pro Jahr sieben Milliarden Euro. Die SPÖ wird mit ihren Ideen den Schuldenberg erhöhen.

Standard: Zu unserer Überraschung wollen Sie als Kanzler auch für Kunst zuständig sein. Wir hätten Sie als Typ eingeschätzt, der sich nur an trockenen Studien ergötzt.

Molterer: Diese Facette kennen viele nicht. Ich kann Kunst eben nur genießen, wenn sie nicht Teil meines öffentlichen Lebens ist. Alles andere wäre Missbrauch der Künstler. Besonders mag ich die österreichische Zwischenkriegsliteratur, in der Malerei vor allem die Kunst nach 1945. Auch in der Musik gibt es wunderbare Erlebnisse wie Friedrich Guldas Stück für Blasmusik und ein Cello-Solo.

Standard: Das könnte Ihnen Hobby-Cellist Wolfgang Schüssel glatt vorspielen.

Molterer: Das wird er kaum schaffen. (lacht) - Oft muss in der Kunst auch Abstoßendes geschehen, damit Anziehendes entsteht. Dieses Stück von John Cage etwa, wo der Pianist den Flügel öffnet, still dasitzt und ihn nach ein paar Minuten wieder schließt. Freilich fragst du dich erst, was das soll. Aber dann denkt man nach, wie die Musik klingen mag, die er gespielt haben könnte.

Standard: Haben Sie denn keine Angst, sich als Kunstkanzler zu blamieren wie einst Viktor Klima?

Molterer: Ich dreh's um: Wer behauptet, von Kunst und Kultur alles zu wissen, ist ein Scharlatan. Politik muss vor allem ermöglichen, das Schlimmste ist ja, wenn sie über Kultur urteilt.

Standard: Provokante Künstler wie Nitsch wurden von rechtskonservativen Politikern oft angegriffen.

Molterer: Das können nur Leute tun, die keine Ahnung haben. Ich schätze Hermann Nitsch als tiefsinnigen Menschen. Künstler wissen etwa oft mehr über Religion als viele, die sich religiös nennen. Diskutieren Sie einmal mit Alfred Hrdlicka über die Bibel!

Standard: Wo haben Sie als Bauernsohn Ihren Kunstsinn her?

Molterer: Da klingt ein dumpfes Vorurteil durch! Viele Künstler haben einen ländlichen Hintergrund. Ich hatte das Glück, Menschen zu treffen, die für mich Schwellen gesenkt haben - ein Maler musste mir erst das Schauen beibringen. An der Eingangspforte zur Musik standen logischerweise die Beatles, aber bald bin ich auch bei Anton Bruckner gelandet.

Standard: Und wie hat Sie die Kindheit am Land geprägt?

Molterer: Die Ennsleiten in Steyr, wo ich herkomme, war eine Schnittstelle zwischen den Kulturen der Arbeiter und der Landbevölkerung. Was ich dabei gelernt habe, ist der Respekt vor den Welten, vor politischen Einstellungen - auch wenn sie mir überhaupt nicht passen. Das ist die einzige Vision, um Demokratie zu sichern.

Standard: Haben nicht gerade Sie diesen Respekt gegenüber der Opposition missen lassen, etwa während Schwarz-Blau?

Molterer: Ich gebe zu, das ist manchmal eine Gratwanderung. Aber Sie müssen auch sehen, wie mit uns umgegangen wurde. Es geht nicht spurlos an einem vorbei, wenn man von einem - mittlerweile verstorbenen - Kollegen aus einer anderen Partei, mit dem man gut befreundet war, in einer Parlamentsrede so angesprochen wird: „Der Dollfuß war im 34er-Jahr auch Landwirtschaftsminister."

Standard: Ihre Eltern haben Sie zur Adoption an Ihren Onkel freigegeben. Das klingt hart.

Molterer: In der damaligen Zeit war das üblich. Die Geschichte ist einfach: Wir waren vier Geschwister, während meine kinderlose Tante und ihr Mann einen Erben für ihren Hof gesucht haben. Sicher, mit zehn Jahren war es nicht ich, der die Entscheidung getroffen hat. So hat sich das einfach ergeben.

Standard: Sie waren Landesmeister im Leistungspflügen. Spannt man sich da selbst vors Gerät oder wie?

Molterer: Sie haben wirklich dringenden Nachholbedarf, was das Leben am Land betrifft! (lacht) Wären Sie unlängst zur Pflüger-WM nach Niederösterreich gefahren, Sie hätten gestaunt: Da waren Konkurrenten aus Neuseeland, Australien, USA oder Kenia. Natürlich wird der Traktor verwendet. Es geht um Geradlinigkeit, Tiefgang und ein harmonisches Gesamtbild. Und das gefällt mir.

Standard: Als Student wollten Sie die Wehrpflicht abschaffen. Waren Sie am Ende ein Linker?

Molterer: Die Österreichische Studentenunion hat mich sogar einmal wegen Linksabweichlertums ausgeschlossen. Verantwortlich waren zwei, die heute Journalisten sind.

Standard: Dann sind Sie nach rechts gerückt ...

Molterer: Nein, in die Mitte. Natürlich hat sich mein Blickwinkel geändert. Sie kennen ja das Sprichwort, wer in der Jugend nicht links ist, hat kein Herz und so weiter. Hätte ich diese Freiheit zu denken nie gehabt, hätte ich's nie gelernt.

Standard: Als Mann mit dieser Vergangenheit müssten Sie doch für höhere Steuern auf Vermögen sein.

Molterer: Ein Schlüsselbegriff der ökosozialen Marktwirtschaft, die ich einst mitentwickelt habe, ist die Balance: Wir brauchen ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlicher Basis und sozialer Dimension.

Standard: Die Balance fehlt. Arbeitnehmer zahlen hohe Steuern, die auf eine Oberschicht konzentrierten Vermögen kommen billig davon.

Molterer: Sie täuschen sich. Anhand der nun abgeschafften Erbschaftssteuer konnte man sehen, wie breit Vermögen verteilt ist.

Standard: Eine Handvoll riesiger Erbfälle sorgte doch für das Gros des Aufkommens.

Molterer: Nein, die Masse der Fälle betrifft den Mittelstand. Je breiter Eigentum gestreut ist, desto stabiler ist eine Gesellschaft - genau das will ich ermöglichen. Dazu kommt ein sachliches Argument. Ferdinand Lacina, der zur Linken in der SPÖ zählt, hat die Vermögenssteuer aus gutem Grund abgeschafft. Weil es nichts so Scheues gibt als Vermögen. Sobald ein Land unattraktiv wird, ist das Geld weg.

Standard: In anderen Ländern sind die Steuern doch längst höher. Selbst der Steuerrechtler Paul Kirchhof, Berater von Angela Merkel, sagt: „Kapital zu schützen, weil es sonst flieht, ist völlig verkehrt."

Molterer: Ohne Kirchhof nahezutreten: Vielleicht ist sein Versuch, in der Politik Fuß zu fassen, deshalb fehlgeschlagen.

Standard: Der liberale Bauunternehmer Hans Peter Haselsteiner soll Ihnen einmal vorgerechnet haben, wie viel Millionen er steuerfrei aus Aktienverkäufen verdient hat. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Molterer: Wir müssen vieles neu denken. Ich bin für eine Steuer auf Finanztransaktionen, auch eine Spekulationssteuer wird weltweit zum Thema. Eine generelle Vermögenszuwachssteuer wäre falsch, weil sie etwa die Pensionsvorsorge trifft. Aber wer aus Aktienverkäufen etwas erlöst, soll innerhalb einer bestimmten Frist Steuern zahlen. Und die soll nicht wie bisher ein Jahr, sondern zwischen fünf und zehn Jahren betragen.

Standard: Apropos Gerechtigkeit: Kränkt es Sie eigentlich, dass Sie in den Medien oft als Politiker ohne Charisma dargestellt werden?

Molterer: Ich leugne nicht, dass mich das manchmal ärgert. Wer sagt, alles perle ab, der ist kein Mensch. Arg wird es, wenn es zur Kampagne ausartet, wie sie die Krone gegen die ÖVP fährt. Ich bin für mein Image aber auch selbst verantwortlich. Erstens bin ich ein beherrschter Mensch; ich trage viel mit mir selber aus. Zweitens mache ich einen Teil meiner Existenz nicht zum Gegenstand der Öffentlichkeit, wie etwa meine Familie. Bier ist Bier, Schnaps ist Schnaps. Vielleicht wäre es taktisch klug, anders zu handeln. Aber persönlich würde ich viel dabei verlieren. (Gerald John und Nina Weißensteiner, DER STANDARD, Printausgabe, 30.8.2008)