Herrlich: Alfred Kubins Darstellung des Zorns (1914).

F.: Residenzgalerie

Salzburg - Ob es daran lag, dass die Acht in der christlichen Symbolik für Neubeginn, Erneuerung und Ewigkeit steht? Papst Gregor der Große (Amtszeit: 590-604) kannte jedenfalls kein Pardon mit Überflüssigem und schaffte die achte Todsünde ab. Ganz richtig ist das freilich nicht, denn vielmehr wurde sie der Acedia, der Trägheit des Herzens und des Geistes, untergeordnet: die böse Melancholie.

Der größere Heuler als der Umstand, dass die Melancholie im christlichen Sinne als Sünde gilt, ist allerdings das Gerücht, man sinniere im Vatikan über eine Modernisierung der Todsünden nach. Tierquälerei und Abtreibung sollen zur engeren Wahl gehören. Allein für das Füllen dieser Wissenslücken lohnt sich eine Führung durch die Residenzgalerie, wo man sich derzeit erfreulich undogmatisch der Sünde widmet.

"Süßes Laster - Lässliche Moral in der bildenden Kunst" nennt sich die von Thomas Habersatter konzipierte Schau, die es sich nicht nehmen ließ, am Plakat mit der unkeuschen Fleischeslust zu locken. So dient die im Makart'schen Stil gemalte, sinnlich hingestreckte Odaliske (Franz Lefler, um 1880), aus der das nackerte Titelsujet entnommen ist, in der Ausstellung eigentlich als Beispiel für die Genusssucht, für das Laster von Kaffee- und Tabakkonsum. Das Bild an sich - im Übrigen eine Leihgabe aus der Sammlung der Austria Tabak - zeigt nur eine orientalische Fantasie des Rauchens von Wasserpfeife und Tschibuk.

Schwebendes Dahindämmern

Das Tschibuk-Rauchen war in Wiener Kaffeehäusern Ende des 19. Jahrhunderts nichts Ungewöhnliches und verhalf zu einem Rausch, den Heimito von Doderer als "schwebendes Dahindämmern ohne jede Dumpfheit" beschrieb.

Franz von Stucks nackte Versuchung (Sünde, um 1891) vermag hingegen vortrefflich das Kapitel "Sündenfall" einzuleiten, das der Münchner Künstlerfürst, aus einfachsten Verhältnissen kommend, mit passenden Versen ergänzte: "(...) gleich daneben neben dem lockenden Antlitz züngelt die giftige Schlange."

Womit wir bei der Frage wären, wann man aufhörte, die Personifikation von Sünde und Versuchung ausschließlich weiblich zu besetzen? Eine Frage, die die Ausstellung zwar unbeantwortet lässt, dafür mit einer Arbeit von Gilbert und George punktet: In Sodom (1997) führt das Duo nicht nur sehr nachdrücklich seine Homosexualität vor, sondern kritisiert auch - indem es sich auf den Poor Man's Catechism von 1866 bezieht - die Antiquiertheit zeitgenössischer Moralvorstellungen. Nachdem die Fundamente für das Sündenverständnis unserer Gesellschaft bis zu den antiken Philosophen zurückreichen, finden sich auch römische Beispiele in der Ausstellung. Die recht freizügigen und unbefangenen erotischen Darstellungen auf Alltagsgegenständen wie Lampen illustrieren jedoch weniger die "Sünde" , sondern nur einmal mehr den unkonventionellen Umgang mit Sexualität in der Antike, der erst sehr viel später tabuisiert und dämonisiert wurde.

Abgesehen von manchen Holprigkeiten kann die Sünde aber einige rare, spannende und höchst ungewöhnliche Arbeiten - etwa Die Versuchung des Heiligen Antonius (1629) oder die Schlaraffenlandkarte (1753) zu ihren Trümpfen zählen. (Anne Katrin Feßler / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.8.2008)