Ein Strand in der Bretagne in der Ferienzeit. Außer ein paar Engländern, die hier Zweithäuser haben, gibt es keine Touristen. Das Wetter ist zu kühl. Nur Einheimische sind zu sehen. Und das Erste, was einem auffällt: die vielen Kinder. Fast jede Frau hat zwei, drei im Schlepptau. Auf den Uferfelsen klettern - unter Aufsicht eines Animateurs - die Größeren herum, der örtliche "Kinderklub". Kinderparadies Frankreich.

Wie kommt es, dass Frankreich mit 1,94 Kindern pro Frau die höchste Geburtenrate in Kontinentaleuropa hat und Österreich, trotz beträchtlicher Ausgaben für die Familien, nur eine von 1,42? Einige Ursachen kennt man: kostenlose Ganztagsschulen, das flächendeckende Netz von ebenfalls kostenlosen Kindergärten und Kinderkrippen, das familienfreundliche Steuersystem, das großzügige Kindergeld. Aber es lohnt sich, noch ein bisschen genauer hinzusehen. Und da zeigt sich ein noch wesentlicherer Unterschied zwischen den beiden Ländern. In Frankreich fehlt jene hierzulande immer noch insgeheim vorherrschende Ideologie völlig, die besagt, dass Kinder bei ihren Müttern am besten aufgehoben sind und nur als Notlösung in sogenannte außerhäusliche Pflege gegeben werden sollten.

Praktisch alle französischen Dreijährigen gehen in den Kindergarten, 37 Prozent der Zweijährigen in die Kinderkrippe. Darüber gibt es seit Menschengedenken Konsens zwischen rechts und links. Der Kindergarten ist schon im 19.Jahrhundert von der katholischen Kirche begonnen worden, als Überlebenshilfe für die Arbeiterfrauen. Um die Jahrhundertwende führte der Staat ihn landesweit ein. Die Kindergärtnerinnen haben eine Hochschulausbildung und sind Teil des Schulsystems. Schon im Vorschulalter lernen die Kinder hier spielerisch lesen, schreiben und rechnen.

Dass Mütter arbeiten gehen, wird vom Staat nicht nur geduldet, sondern gefördert. Kinder berufstätiger Mütter haben mehr Erfolg in der Schule, sagt eine vom konservativen Familienminister in Auftrag gegebene Studie. Und während kinderreiche Familien in Österreich laut dem Sozialforscher Bernd Marin ein "Unterschichtphänomen" sind, gilt für Frankreich das Gegenteil. Ségolène Royal, die gewesene sozialistische Präsidentschafskandidatin, hat vier Kinder. Clara Gaymard, Chefin des Weltkonzerns General Electric und verheiratet mit einem konservativen Politiker, hat acht. Ab dem dritten Kind sinkt die Einkommenssteuer dramatisch. Wer einer Mehrkinderfamilie angehört, zahlt in allen staatlichen Einrichtungen weniger, von der Eisenbahn bis zum Museum, auch wenn er oder sie allein unterwegs ist.

Auf den bei hiesigen Konservativen so beliebten "ideologischen" Familienschutz verzichtet man dagegen gänzlich. Abtreibung gibt es auf Krankenschein, homosexuelle Partnerschaften kann man staatlich registrieren lassen. Der Trauschein spielt bei der Familienförderung keine Rolle. Der bürgerliche Familienminister sagt: Frauen kriegen Kinder, wenn sie finanzielle Sicherheit und Autonomie haben, unabhängig von einem Mann. Das ist das Wichtigste.

Vielleicht sollten unsere künftigen Familienminister und -ministerinnen öfters einmal nach Frankreich fahren. (Barbara Coudenhove-Kalergi/DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2008)