Der Abfluss des Gletschersees am Rand des Goldbergkees am Rauriser Sonnblick ist ein Schauplatz für hydrologische Untersuchungen. Über die Messdaten können Forscher der Universität für Bodenkultur die Veränderung des Gletschers nachvollziehen.

Foto: Martin Grabner

An genau festgelegten Stellen wird die Tiefe und mittels hydrometrischen Messflügels die Abflussgeschwindigkeit des Wassers gemessen.

Foto: Martin Grabner

Die Rucksäcke der beiden Bergsteiger sind vollgepackt mit wissenschaftlichen Geräten, metallenen Messstangen, einer dicken und dementsprechend schweren Wathose aus Neopren. Der schweißtreibende, mehrstündige Marsch führt den Hydrologen der Universität für Bodenkultur, Hubert Holzmann, und seinen "Assistenten" (den Autor dieser Reportage) bis auf knapp 2400 Meter Seehöhe an den Rand des Goldbergkees am Rauriser Sonnblick. An der Messstelle angekommen, bietet sich den Wanderern ein prächtiges Bild. Vor ihnen der Gletschersee, der sich wenige Meter weiter über die Felsen als kleiner, tosender Wasserfall ergießt. Im See selbst spiegelt sich das mächtige Gletschertor und rechts ragt die schmale Spitze des 3105 Meter hohen Sonnblicks mit seinem berühmten Observatorium in den blauen Himmel.

Der Hydrologe zwängt sich in die Neopren-Wathose, steigt in das eiskalte Wasser und spannt ein Maßband über den See. Dann bestimmt er mit einem Eisenstab die einzelnen Messpunkte, die der Assistent, am Ufer auf einem Felsblock sitzend, genau protokolliert. "Sonnblick, Gletschersee, 17. 8. 2008, 11 Uhr, Gruppe HO/GRA", wird notiert. Die Messung kann beginnen. Neunmal wird der Abstand vom linken Ufer genau festgelegt und die jeweilige Wassertiefe aufgeschrieben. "Abstand vom linken Ufer 12,5 Meter, Wassertiefe 19 Zentimeter. 11 Meter Abstand, 15 Zentimeter Wassertiefe," ruft der Wissenschafter in seiner wärmenden "Fischerhose" ans Ufer.

Jetzt tritt der hydrometrische Messflügel in Aktion, ein Gestänge mit einem Propeller unten dran, der sich je nach Strömungsgeschwindigkeit schneller oder langsamer dreht. Der Flügel ist mit einem Zählgerät am Körper des Wissenschafters verbunden und misst für eine bestimmte Dauer, in diesem Fall 30 Sekunden, die Fließgeschwindigkeit des Wassers an den Stellen, die vorher mit den Abständen vom Ufer und mit verschiedenen Tiefen festgelegt wurden.

Die protokollierten Daten können mithilfe von Formeln am Computer umgerechnet werden und ergeben die mittlere Abflussgeschwindigkeit des Wassers in Kubikmeter pro Sekunde. Eine fixe Pegelmessstelle vor Ort übermittelt das ganze Jahr kontinuierlich Daten nach Wien über den jeweiligen Wasserstand des Gletschersees, zusätzlich zu den drei bis vier jährlichen Messungen der Wissenschafter vor Ort.

Massiver jährlicher Rückgang

Fünf Jahre hat das Institut für Wasserwirtschaft, Hydrologie und konstruktiven Wasserbau der Universität für Bodenkultur in Zusammenarbeit mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) dieses Projekt im Einzugsgebiet des Rauriser Sonnblicks nun betreut.

Berechnet wurde die Massenbilanz des Gletschers, also wie viel im Winter durch Schnee dazukommt und im Sommer durch Abschmelzen wieder weggeht. "Mithilfe der genauen Niederschlagsdaten der Wetterstation am Sonnblick, den Messdaten der Glaziologen der ZAMG am Goldbergkees und unseren Abflussmessungen können wir die Massenbilanz und den Gletscherrückgang hier genau studieren", erklärt Hubert Holzmann. Die Vormittagsarbeit ist erledigt. Eine zweite Messung am Nachmittag soll zeigen, wie sehr sich die Erwärmung über den Tagesverlauf im Abflussverhalten widerspiegelt. Die Zeit vertreiben sich Wissenschafter und Assistent, indem sie auf den Gletscher steigen, um den Glaziologen Wolfgang Schöner von der ZAMG bei seiner Arbeit zu beobachten. Aufgemalte Jahreszahlen an den Felsen zeigen auf dem Weg dorthin den erschütternden, jährlichen Rückgang der Gletscherzunge um manchmal 30 bis 50 Meter.

Der Forscher treibt mithilfe eines Dampfbohrers Löcher ins Eis. Eineinhalb Meter lange, miteinander verbundene Stangen werden danach sechs Meter tief in den Gletscher gesteckt. Beim Abschmelzen in den Sommermonaten fällt das jeweilige Teilstück einfach um und zeigt den Wissenschaftern genau den Stand der Ausaperung. Radarschlitten vermitteln zusätzlich Bilder der einzelnen Eisschichten bis zum Grund. GPS-Daten verraten den Forschern die Bewegung des Gletschers.

Es ist Nachmittag geworden und Hubert Holzmann und sein Assistent müssen zurück an ihren Arbeitsplatz. Die Prozedur ist die gleiche wie am Vormittag. Das Ergebnis ist aber ein anderes: das Abflussverhalten ist stärker und zeigt, dass es ein warmer Sommertag hier am Sonnblick war. Apropos stärker. Der Rucksack drückt beim abendlichen Abstieg auch wesentlich stärker. Die Wathose hat durch das Gletscherwasser ordentlich an Gewicht zugelegt. (Martin Grabner/DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2008)