Ab Oktober soll in Österreich eine Agentur aktiv werden, wenn Betrugsverdacht aufkommt.

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"Integrität in Forschung und Wissenschaft" lautete der trockene Titel des Arbeitskreises 2 bei den Technologiegesprächen in Alpbach vergangenen Donnerstag. Was nach einem unaufgeregten Diskussionszirkel zu einem zeitlosen Thema klang, bekam unerwartete Brisanz und Aktualität.

Am selben Donnerstag nämlich zog das Wissenschaftsmagazin Nature unter dem Titel "Skandalöses Verhalten" mit beispielloser Schärfe über hiesige Forschungsstrukturen her: "Es scheint etwas faul zu sein im Staate Österreich", hieß es da mit Shakespeare'scher Dramatik. Was ziemlich schwer wiegt, denn Nature gilt als die weltweit wohl einflussreichste Wissenschaftszeitschrift. Und: Die harsche Kritik war, wie es sich für ein Top-Magazin gehört, begründet. Nature berichtete bereits das zweite Mal über grobe Unregelmäßigkeiten bei Studien der Med-Uni Innsbruck: Eine neue Stammzelltherapie war bei Patienten mit Harninkontinenzproblemen erprobt worden - ohne Genehmigung der Ethikkommission, zum Teil gegen fragwürdige Honorare im fünfstelligen Bereich und womöglich mit manipulierten Studienergebnissen.

Doch damit nicht genug der Brisanz: Nur ein paar Kilometer vom Tiroler Alpen- und Intellektuellendorf entfernt kam an jenem Donnerstag der Uni-Rat der Med-Uni Innsbruck zusammen und beschloss ohne Gegenstimme die Absetzung des bisherigen Rektors Clemens Sorg - was international ein besonders schlechtes Bild machte, denn nicht nur in Nature, auch in der angesehenen Neuen Zürcher Zeitung wurde der abgesetzte Clemens Sorg als Aufdecker des Skandals dargestellt.

Ist es in Österreich mit der Integrität in der Wissenschaft also nicht so weit her? Begünstigen hier gewisse Strukturen solche Fälle und ihre Nichtahndung? Oder bauschen da Qualitätsmedien das Fehlverhalten eines Forschers boulevardesk auf?

Verpflichtende Ethikkurse

Und was sagen die Experten dazu, die im Arbeitskreis in Alpbach über das Thema "Integrität" referierten? Der norwegische Bioethiker Jan Helge Solbakk forderte verpflichtende Kurse über "Forschungs- und Publikationsethik" für alle Wissenschafter - nicht bloß für Doktoranden, sondern auch für Professoren. "Diese ethischen Fragen sind nicht gelöst, nur weil sie schon viele Jahrhunderte diskutiert werden. Sie müssen neu gestellt werden, weil sich die Gesellschaft weiterentwickelt." Auch die Kritierien für korrekte wissenschaftliche Publikationen würden sich im Laufe der Zeit ändern, sagte Solbakk zum Standard.

Harvey Marcovitch, Präsident des Committee on Publication Ethics (COPE) im britischen Cambridge, meinte, dass die Bedeutung der großen Betrugsfälle - ohne dabei Bezug auf die Innsbrucker Causa zu nehmen - medial überschätzt werde. Dem schloss sich auch Nobelpreisträger Jean-Marie Lehn an: Die großen Skandale würden ohnehin aufgedeckt, und das System korrigiere sich selbst.

Mit Nature könnte man fragen, ob diese Form der Selbstkorrektur auch an Österreichs Forschungseinrichtungen greift. Der US-Wissenschaftshistoriker Horace Judson, der in Alpbach mitdiskutiert, hielt die Reaktion der Medizin-Uni Innsbruck für "schrecklich" und riet dazu, den Vorwürfen nachzugehen und Beweise zu veröffentlichen.

Nicht viel besser scheint die Medizin-Uni Wien in den letzten Wochen angesichts eines anderen Betrugsskandals agiert zu haben: Die Daten einer großen Studie über die Gefahr von DNA-Brüchen durch die Handystrahlung waren von einer Mitarbeiterin manipuliert worden. Immerhin ging die Uni-Leitung an die Öffentlichkeit und forderte - so wie Ex-Rektor Sorg in Innsbruck - die Rücknahme der Studie.

Das freilich ist bis heute nicht geschehen, wie das deutsche Nachrichtenmagazin Spiegel diesen Montag süffisant festhielt. Doch es gibt noch weitere Vorwürfe in dem Fall, der vom deutschen Biologen Alexander Lerchl aufgedeckt wurde, der nun sogar ein Buch darüber schreibt: Der Ethikrat der Medizin-Uni scheint den Autoren eine Art Deal angeboten zu haben, womöglich deshalb, weil einer der drei Ethikräte mit dem Projektleiter bestens bekannt ist - kein Fälschungsvorwurf im Tausch gegen Rücknahme aus formalen Gründen.

Für den Spiegel wachse sich der Fall der Handystudie deshalb zu einem Lehrstück darüber aus, dass die Wissenschaft "aus eigener Kraft nicht in der Lage sei, einen offensichtlichen Fälschungsskandal aufzuklären". Bleibt die Frage: Ganz generell oder nur in Österreich, wo es neben der Handy- und der Inkontinenzstudie mit dem eher folgenlos gebliebenen Skandal um die angeblich revolutionäre Krebstherapie des Gynäkologen Johannes Huber noch ein drittes Beispiel binnen eines Jahres gibt.

Nature nennt einige Gründe, warum sich vor allem die heimische Medizin mit Betrugsfällen (noch) schwer zu tun scheint: Österreich sei ein kleines Land mit eng verflochtenen Netzwerken der Macht; das akademische System sei durch rigide Hierarchien und professorale Allmacht gekennzeichnet, insbesondere die medizinische Elite sei ein geschlossenes System, die allem Anschein nach wisse, "wie man die Ränge dichtmacht".

Im Oktober soll jedenfalls eine nationale Agentur zur Wahrung wissenschaftlicher Integrität gegründet werden. Allzu enge Verflechtungen mit den heimischen Netzwerken sollte es da nicht geben: Der Agentur werden ausschließlich ausländische Wissenschafter angehören. (Klaus Taschwer und Peter Illetschko/DER STANDARD, Printausgabe, 27.8.2008)