Redl-Zipf - Zwei Welten treffen an diesem verregneten Samstagnachmittag in dem kleinen Dorf Redl-Zipf im Hausruckviertel aufeinander. Zwei Welten, die unterschiedlicher nicht sein könnten - und doch eint sie die Geschichte. Die einen flüchten vor dem unfreundlichen Nass in den frisch renovierten Braugasthof der Zipfer Brauerei, um zu verkosten, was nur einen Steinwurf entfernt gebraut wurde. Andere hingegen sind gekommen, um einen Blick hinter die bierselige Lustigkeit zu wagen.

Man ist bereit, sich für zwei Stunden dunklen Kapiteln der Dorfgeschichte im Allgemeinen und der Zipfer Brauerei im Speziellen zu stellen. Erstmals können Besucher Blicke auf die baulichen Überreste des "Geheimprojekts Schlier" werfen - in Reste nationalsozialistischer Rüstungsindustrie hinter "urtypischer" Fassade.

Es war das Jahr 1943, das Redl-Zipf je zu einem der kriegsstrategisch wichtigsten Orte machte. Nach schweren Bombenangriffen auf die sogenannten Rax-Werke in Wiener Neustadt entschied die NS-Führung, ihre Rüstungsindustrie vorwiegend unter Tage zu verlagern. Die Bierkeller der Brauerei Zipf dürften dafür ideal gewesen sein, zumal der Ort direkt an der Westbahn liegt und die Brauerei mit einem Gleiszugang versehen war. Am 30. September informierte die NS-Führung die Brauerei, bereits am 4. Oktober wurde mit der Erweiterung der unterirdischen Stollen begonnen. Dies wurde von Zwangsarbeiten durchgeführt, die in dem KZ-Nebenlager Redl-Zipf untergebracht waren.

Vorwiegend galt es, in den Tiefen der Braukeller wichtige Bestandteile für die V2-Rakete - die erste in Serie gebaute Flüssigsauerstoff-Rakete der Welt - herzustellen. Unter den Decknamen "Schlier", benannt nach dem Gesteinsvorkommen in Zipf, produzierte man Flüssigsauerstoff und entwickelte Raketenantriebe, die man anschließend auf zwei Prüfständen testete.

Über Nacht zum Geheimnis

Die Geräusche dabei haben Zipfer auch 64 Jahre später noch gut in Erinnerung. "Zuerst war immer ein Pfeifton als Warnsignal zu hören, dann begann dieses Brodeln. Das hat sich gesteigert bis zu einem Knall. Uns ist das immer durch Mark und Bein gefahren", erzählt Rudolf Walchetseder im Standard-Gespräch. Das Elternhaus des gebürtigen Zipfers steht unmittelbar neben der Brauerei. Als damals 16-Jähriger erlebte er die plötzliche Veränderung im Dorf hautnah mit.

"Wir waren auf einmal über Nacht ein Geheimprojekt. Zipf gab es nicht mehr. Die Häuser wurden mit schwarzer Tarnfarbe gestrichen, und vor unseren Augen wurde ein Arbeitslager errichtet. Da wurden plötzlich KZ-Häftlinge an unserem Haus vorbeigetrieben", erzählt Walchetseder. Erinnerungen, die ungetrübt präsent sind, Erinnerungen, die den heute 80-Jährigen noch einmal an den Ort des Geschehens haben kommen lassen.

Der Weg in die Vergangenheit, organisiert von der "ARGE Schlier", führt zunächst durch die hohen und breiten Bierkeller der Brauerei. Die Kälte lässt viele Besucher den Regenumhang mit dem Pullover tauschen. Und es wird stiller, je weiter man in den Berg vordringt. Die Enge der einstigen NS-Stollen, die feuchten Wände, die düstere Beleuchtung - und vor allem das Bewusstsein, dass hier Unzählige ihr Leben lassen mussten - zeigen Wirkung.

Aufatmen und wegschauen

Von den V2-Fertigungsanlagen ist nichts mehr zu sehen. Doch wahrscheinlich ist genau diese Leere in den feuchten Gängen, die so nachdenklich stimmt. Nach gut einer halben Stunde im Berg atmet man fast befreit auf, als man erfährt, dass die Reste der Triebswerksprüfstände von außen zu besichtigen sind. Ein kleiner Weg führt durch den Wald zu den Resten des mächtigen V2-Testbunker.

Rudolf Walchetseder inspiziert diesen nur kurz. Vielmehr interessiert ihn die Aussicht. "Schön ist es hier. Für das andere kann weder Zipf noch die Brauerei was." (Markus Rohrhofer/DER STANDARD, Printausgabe, 25.8.2008)