Rainer Bauböck vom Europäischen Hochschulinstitut für Soziale und Politische Theorie in Florenz: Integration werde in Westeuropa zudem zunehmend als "Bringschuld der Migranten" gesehen.

Hendrich

Wien - Im Detail haben sich die Integrationsstrategien in Europa immer schon unterschieden, aber bis in die 90er-Jahre sprachen Sozialwissenschafter zumindest von drei Idealtypen, sagt Rainer Bauböck, der am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz Soziale und Politische Theorie lehrt.

Großbritannien und die Niederlande galten als liberal, multikulturell. Migranten - vor allem aus den früheren Kolonien - konnten unter sich bleiben. Das republikanische Modell Frankreichs hingegen verlangte strikte Angleichung von Einwanderern, bot dafür aber raschen Zugang zur Staatsbürgerschaft. Deutschland und Österreich waren in dieser Lesart die Gastarbeiterländer: Weil erwartet wurde, dass die Migranten bald heimkehren, blieben sie sozial und politisch weitgehend ausgeschlossen.

Multikulti ist out

"Diese Idealtypen haben sich inzwischen weitgehend aufgelöst", sagt Bauböck. Seit den Anschlägen 2005 in London und dem Mord am niederländischen Filmemacher Theo Van Gogh gelte der Multikulturalismus als gescheitert. In Frankreich suche die Politik, die lange vorgab, gegenüber Religion blind zu sein, den Kontakt zu geistlichen Führern, also vor allem islamischen Gelehrten. Und Deutschland bekennt sich inzwischen offen dazu, Einwanderungsland zu sein. Seit 1999 ist die Bundesrepublik auch keine Abstammungsnation mehr: Wer dort geboren wird, ist im Regelfall Deutscher.

Hinzu kam in Westeuropa ein Trend zur "aggressiven Intergrationspolitik", die sich vor allem an Individuen richtet, sagt Bauböck. Wer nun Staatsbürgerschaft oder dauernden Aufenthalt will, wird getestet, ob er auch zur Aufnahme tauglich ist. Ein Problem dabei: "Dass die Staaten stärker selektieren, bedeutet nicht, dass sie Migranten, die bei solchen Tests durchfallen, abschieben. Die Gruppen bleiben oft im Land, werden dann aber marginalisiert." Integration werde in Westeuropa zudem zunehmend als "Bringschuld der Migranten" gesehen. Und schließlich werde Integration heute primär als Sicherheits- und nicht als soziales Problem wahrgenommen. (András Szigetvari, Der STANDARD Print-Ausgabe, 25.08.2008)