Der Schriftsteller und Journalist Joe J. Heydecker diente während des Zweiten Weltkriegs als einfacher Soldat in der Deutschen Wehrmacht. Er war gelernter Fotograf und trug während der ganzen Zeit eine Kleinbildkamera - eine Kine-Exakta - bei sich, mit der er seine Erlebnisse registrierte. Er fotografierte privat und ohne jeden Auftrag; im Fronteinsatz war das nicht möglich, deswegen fehlen Kampfbilder. Es war Heydeckers Intention, durch die Sequenz über die Jahre den Eindruck der allmählichen Veränderung und Steigerung des Krieges fühlbar und anschaulich zu machen, vom Optimismus der ersten Blitzsiege, dem sommerlich-fröhlichen Feldzug in Frankreich, der Situation Polens während der deutschen Besatzungszeit bis zum Vorstoß nach Russland, in dem das Ende schon beschlossen liegt, und dem Schweigen des Todes und der vollständigen Zerstörung am Beispiel der ausgelöschten Stadt Warschau.

In diesem Rahmen und im bewussten Kontrast zu ihm nehmen die Bilder, die er im Winter Anfang 1941 im Getto von Warschau aufnahm, einen besonderen Platz ein. Das Betreten des Gettos ohne offiziellen Auftrag war selbst Soldaten verboten. Wie er dennoch - illegal - in den verbotenen Bezirk jenseits der Mauer gelangte, hat er ausführlich im dtv-Bildband Das Warschauer Getto (München 1983) geschildert. Es kommt selten vor, das sich in einer Person der treffende Blick mit dem treffenden Wort so wirkungsvoll vereint findet.

Was Joe Heydecker im September 1939 mit einem Fotoapparat zu schreiben begonnen hatte, beendete er elf Jahre vor seinem Tod in der Niederschrift seiner Kriegserinnerungen. Das Manuskript Mein Krieg - 6 Jahre in Hitlers Wehrmacht wurde voriges Jahr, reich illustriert, veröffentlicht - allerdings in Rom, auf Italienisch. Im Nachwort schreibt der italienische Bildhistoriker Adolfo Mignemi:

"16 Jahre lang hat die geschriebene Erinnerung nicht vermocht, einen (deutschen) Verleger zu finden: viele während des Krieges aufgenommene Fotografien Heydeckers wurden veröffentlicht, andere finden sich auf verschiedenen Seiten des World Wide Web, aber niemand in Deutschland hat sich jemals veranlasst gefühlt, die Gedanken und Überlegungen, die diese selben Fotografien einst im Autor erregten, zu drucken. Es scheint fast, als ob, gegen jede Logik, man umso mehr Mühe hat, die Vergangenheit zu akzeptieren, je mehr Jahre vergehen. (...) Anstatt Scham zu erwecken, lösen die Bilder Empörung aus. Die kürzlich erfolgten Vorfälle in Deutschland und Österreich bei der Ausstellung 'Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskriegs 1941-1944' zeugen davon. Im Klima der Beschuldigungen an die Organisatoren der Ausstellung, die Ehre des deutschen Soldaten verleumden zu wollen, erklärt sich die Tatsache, dass Mein Krieg. 6 Jahre in Hitlers Wehrmacht erst heute herauskommt, noch dazu in Übersetzung, also außerhalb des sprachlichen und kulturellen Umfeld des Autors." (Mara Kraus/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22./23. 2. 2003)