Man freut sich ja insgeheim wie ein Schneekönig, wenn man an einem spätsommerlichen Donnerstag zur "Hauptsendezeit" ORF 2 aufdreht - und nicht etwa nordkanadischen Beutelratten beim Nestbau zusehen muss, sondern in einem "Menschen & Mächte Spezial" eine spannend aufbereitete Spieldokumentation zum Thema "Prager Frühling" vorgesetzt bekommt.

Foto:ORF/Cosmos Factory/Harald Pokieser

Doch sind wir uns ehrlich: Nichts mutet fremder und verstaubter an als das realsozialistische Funktionärswesen von vor 40 Jahren. Die von Michael Kreihsl eingerichteten Spielszenen bedürften eines Ehrenplatzes im überquellenden "Universum"-Archiv.

Foto:ORF/Cosmos Factory/Harald Pokieser

Der realsozialistische Apparatschik ("Breschnew") sitzt in freudlos eingerichteten Politbüros auf schlecht verleimten Möbeln. Er gehört also zur Spezies der Nesthocker. Sein unbändiger Betätigungsdrang ist bevorzugt auf die Nutzung klobiger Bakelittelefone gerichtet. Er begegnet seinen "Genossen" überschwänglich freundlich, zeichnet sich aber durch ein hohes Maß an Unaufrichtigkeit aus. Er beißt unliebsame Freunde sogar zu Tode.

Foto:ORF/Cosmos Factory/Harald Pokieser

Kurz: Wer Dubèek (Jan Hrusinsky) im schlechtsitzenden Anzug beim Angstschwitzen zusah, fühlte sich an das Comeback einer TV-Ästhetik erinnert, die man in den 70er-Jahren gut aufgehoben wusste - die man aber umso lieber rehabilitiert sähe. Ein Lob an alle Beteiligten!

Foto:ORF/Cosmos Factory/Harald Pokieser

Was für eine wunderbare Szene, als Dubèeks Entourage, hilflos in einem Raum gefangen sitzend, den aufgepflanzten Gewehren der Aufpasser mit beißendem Spott begegnete. Genützt hat es den Reformern bekanntlich nichts, die Panzer rollten bereits durch die ÈSSR.

Foto:ORF/Cosmos Factory/Harald Pokieser

Nach einer instruktiven Diskussion bewies der ORF wieder seine gewohnte Eigenwilligkeit. Als Schlusspunkt zum Themenschwerpunkt setzte es Franz Antels vierten "Bockerer"! Den hat der Reformkommunismus ganz gewiss nicht verdient. (poh/DER STANDARD; Printausgabe, 23./24.8.2008)

Foto: ORF/Pedro Domenigg