Der Schweizer Yann Marussich verharrt in absoluter Regungslosigkeit, während das Methylenblau aus all seinen Körperöffnungen tritt und Zeugnis von den inneren, unbewussten Prozessen gibt.

Foto: Marussich

BioArt ist die Kategorie, in deren Zusammenhang Yann Marussichs Performance Bleu Remix häufiger auftaucht. Die relativ junge Kunstpraxis der BioArt bedient sich ausschließlich lebender Materie, benutzt die Biotechnologie als ihr Werkzeug und zählt Genmanipulation oder Klonen zu ihren Themen.

Als Pioniere der BioArt gelten neben George Gessert, der sich seit den 1980er-Jahren mit Pflanzenzucht im Hinblick auf Ästhetik und Evolution beschäftigte, vor allem Eduardo Kac. Der brasilianische Künstler beschäftigte sich in den 1990ern u.a. mit dem Verpflanzen synthetischer Gene in Organismen und kündigte 1999 auf der Ars Electronica die Züchtung eines fluoreszierenden Tieres an: Sein vieldiskutiertes Leuchtkaninchen macht deutlich, dass BioArt hinsichtlich Moral- und Ethikvorstellungen viel Reibungsfläche bietet.

Versuche am eigenen Körper

Kac hielt aber auch selbst für seine Versuche den Kopf hin. 1997 ließ er sich als erster Mensch einen Microchip implantieren (Time Capsule). Im Vergleich zu solchen Selbstversuchen und den drastischen Veränderungen am eigenen Körper, die etwa Orlan und Stelarc seit den späten 1970er-Jahren als Body-Art- und Performance-Künstler durchführten, wirkt Bleu Remix von Yann Marussich harmlos.

Dass die einstündige Live-Performance für Marussich auch tatsächlich folgenlos bleibt, dafür sorgen Ärzte und Chemiker, die bei der Entwicklung der thermisch und zeitlich minutiös kalkulierten, biochemischen Choreografie geholfen haben. Eine Stunde lang verharrt der aus zeitgenössichem Tanz und Performance kommende Schweizer (geboren 1966 in Genf) regungslos in einem Glaskasten, während blaue Flüssigkeit, Methylenblau, aus Augen, Mund, Nase und Poren rinnt. Das Pigment, das sich seinen Weg durch die Hautschichten an die Oberfläche bahnt, macht verborgene Bewegungen, unbewusste Abläufe sichtbar. Dem Betrachter wird der innere Kreislauf vor Augen geführt, während die Hülle selbst in absoluter Bewegunglosigkeit verharrt: "Alle sichtbare Immobilität beherbergt stets auch eine Unendlichkeit an Bewegungen."

Begonnen haben Marussichs intensive Erkundungen der Reglosigkeit 2001 mit Bleu Provisoire, auf der Bleu Remix im Wesentlichen basiert und die gleichzeitig seine Wendung weg von der Choreografie hin zur Solo-Performance und zur Body Art markiert. In Auto-portrait dans une fourmilière (2003), wo Marussich, in eine Art gläsernen Sarg gesperrt, fünf Stunden lang Ameisen über seinen Körper spazieren ließ, und Traversée (2004) setzte er seine Experimente mit Bewegungslosigkeit fort. Die Ursprungssounds von Bleu Provisoire - Atmung, Herztöne, Blutrauschen - werden bei jedem neuen Remix von einem anderen lokalen Musiker, in Linz von Andreas Kurz, neu gemischt. (Anne Katrin Feßler, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 22.08.2008)