Christoph Santner: "Die Grenzen liegen heute nicht mehr in der Machbarkeit. Die Grenzen liegen im Kopf. Was denkbar ist, ist auch machbar."

Foto: Heribert Corn

Standard: Sie führen eine Innovationsagentur. Was genau ist Ihr Job?

Christoph Santner: Mein Job ist es, Neues in die Welt zu bringen. Wir beraten bestehende Unternehmen, denn der Druck, sich selbst neu zu erfinden und neue Ideen auf den Markt zu bringen, steigt enorm. Wir unterstützen auch junge Unternehmen beim Umsetzen von Innovationen. Für uns ist es wichtig, Plattformen zu schaffen, wo sich Menschen gegenseitig stärken. Wir haben eine klare Vorstellung davon, wie die Zukunft aussehen soll.
Standard: Wie soll denn die Zukunft aussehen?

Santner: Die Zukunft sieht für die positiv aus, die bereit sind, sich zu öffnen. Meine These ist, dass wir in die nächste Stufe der Entwicklung gehen. In den letzten Jahren haben wir uns damit auseinandergesetzt, was das Informationszeitalter ist. Jetzt kommen die nächsten Schritte: Es beginnt das Zeitalter des Spielens. Die Helden der jetzigen Kultur sind keine arbeitenden Menschen, sondern spielende. Daher sind auch Kunst und Künstler extrem wichtig geworden. Fünf der letzten Nobelpreisträger haben ihren Preis für die Spieltheorie bekommen.

Standard: Wie wirkt sich das auf Unternehmen aus?

Santner: Wir gehen ins Kreations-zeitalter. Die Haupttätigkeit ist, in einem nie dagewesenen Maß Wirklichkeit zu erschaffen. Die Zeit dafür ist so gut wie noch nie. Medien berichten über Neues, Venture Capital will in Neues investieren, Unternehmen müssen ständig etwas Neues auf den Markt bringen.

Standard: Wenn man sich ständig neu erfinden muss, entsteht aber auch ein großer Druck.

Santner: Für Unternehmen des alten Stils ist das ein enormer Druck. Die haben damit auch Probleme. Sie müssen sich in der Tiefe neu erfinden und neu aufstellen. Tun sie das nicht, wird es ihnen wie den Dinosauriern ergehen. Die sind irgendwann zu groß geworden und dann von der Bildfläche verschwunden. Die jungen Firmen, die nach neuen Prinzipien arbeiten, werden die alten überholen.

Standard: Open Communities, Open Sources etc. sind Schlagworte unserer Zeit. Unternehmen versuchen, Kunden aktiv in Designs, etwa von Turnschuhen, einzubinden. Damit schöpfen Unternehmen kreatives Potenzial aus, für das sie mitunter nicht einmal bezahlen müssen. Was hat der Kunde davon?

Santner: Eine ganze Menge. Das Wort Konsument reduziert die Menschen aber auf ihre Funktion des Kaufens. Ein US-Unternehmen umschreibt sie mit "the creatives formerly known as consumers" . Daher müssen Unternehmen mit dieser Gruppe im engen Austausch sein, um zu begreifen, was sie wirklich wollen.

Standard: Da gibt es aber auch Grauzonen. Wenn ich einen Turnschuh mitdesigne, der produziert wird. Was passiert mit dem Patentrecht? Oder stelle ich meine Kreativität gratis zur Verfügung?

Santner: Beim Thema Patentrecht und geistiges Eigentum passiert gerade ein Umbruch. Auch in der Wahrnehmung ändert sich einiges. Viele von den jungen Kreativen sagen, dass ihre Ideen von anderen Menschen, anderen Ideen und Designs inspiriert sind. Die interessiert es nicht mehr so sehr, ob es dafür ein Patent gibt, sondern ob man die Idee verwirklichen kann. Was man möchte, ist den Respekt dafür. Das ist wichtiger als Geld. Geld hat eine andere Rolle eingenommen. Aber natürlich muss man sich die Spielregeln genau anschauen.

Standard: Die Möglichkeiten des Internets verändern die Geschäftswelt. Sie wird schneller. Was machen Unternehmen, die heute jung und innovativ sind, in fünf Jahren?

Santner: Das Business wird massiv schneller. Fakt ist, dass die ganze US-Krise nichts anderes ist, als die nächste Stufe der Globalisierung. Die erste Stufe war vor hundert Jahren das britische Empire mit dem Pfund als Leitwährung. Die zweite war nach dem zweiten Weltkrieg: die USA mit dem Dollar als Leitwährung. Jetzt übernimmt der asiatische Raum diese Rolle. Die neuen Entwicklungen kommen zu einem großen Teil aus Asien, dort fließt auch viel Venture Capital hin.

Standard: Wissen, das man sich aneignet, gilt für die eigene oder unternehmerische Entwicklung oft als Vorteil. Heute kann man alles googeln. Wohin führt der Weg des frei verfügbaren Wissens?

Santner: Ich glaube, das ist der Grundmotor der ganzen Entwicklung. Die einzelnen Communities ziehen ihr Ding mit ihren Spielregeln durch. Die kollektive Intelligenz ist auf Dauer einfach unschlagbar. Die einzige Chance, die man als Unternehmen hat, ist, sich dem zu öffnen. Sun Microsystems etwa hat sich den Open Sources verschrieben, das Unternehmen steht seit dem viel besser da als vorher.

Standard: Was kommt nach der "Open Community/Economy" ?

Santner: Wir werden das Kreationszeitalter erleben. Schauen Sie sich an, was sich in Dubai tut, was sich in der Nanotechnologie tut. Die Grenzen liegen heute nicht mehr in der Machbarkeit. Die Grenzen liegen im Kopf. Was denkbar ist, ist auch machbar. Der Wettlauf, etwa in der Architektur, beginnt ja erst.

Standard: Werden die Konsumenten/Creatives durch all diese Prozesse kritischer?

Santner: Ja, und das wirkt sich auch auf die Unternehmen aus. Man kann sich heute Nachhaltigkeit nicht mehr einfach so auf die Fahne heften, man muss es leben. Man kann nichts mehr verstecken. Irgendein Mitarbeiter fotografiert mit seiner Handykamera Missstände, und die Abwehrschlacht gegen solche Vorwürfe ist teurer, als wenn man gewisse Standards von Anfang an einhält.

Standard: Was ist für ein Unternehmen der erste Schritt zur Öffnung?

Santner: Ein Unternehmen, das sich öffnen will, muss es wirklich tun. Es darf kein Lippenbekenntnis sein. Es muss jemand dahinterstehen, es muss Chef-Sache sein.

Standard: Aber wie funktioniert das praktisch? Angenommen, ich designe Handys und merke, ich komme mit meinen Produkten am Markt nicht mehr so gut an. Schaffe ich dann einfach eine Plattform, auf der User über Designs und Funktionen abstimmen? Reicht das schon?

Santner: Es gibt die These: ‚Markets are conversations‘. Ein Markt ist nicht nur dazu da, um Produkte zu verkaufen. Man muss den Markt wieder so begreifen wie im Mittelalter, wo der Markt die kommunikative Plattform einer Gesellschaft war. Dort wurden Produkte verkauft, Nachrichten überbracht, Geschäfte abgewickelt. Heute gibt es diese Kommunikation nicht mehr, es ist eine Einweg-Veranstaltung geworden. Der Rückkanal ist nicht mehr offen, und den muss man über Kommunikationsplattformen wieder öffnen. Apple etwa steht mit seiner Community, mit Künstlern und Designern in einem ständigen Austausch. Hätte Apple gesagt ‚wir bauen Computer‘, hätten sie das iPhone nie erfunden. Daher engagieren Unternehmen für ihre Innovationsabteilungen zunehmend Absolventen von Kunsthochschulen und keine Techniker mehr. Leute, die ‚out of the box‘ denken, sind gefragter denn je.

Standard: Muss ich mir Sorgen machen, dass ich die Welt in 30 Jahren nicht mehr verstehe, weil sich so viel so schnell verändert?

Santner: Ich glaube, dass es schon schwierig wird für Menschen, die sich mit neuen Technologien und Möglichkeiten nicht beschäftigen. Man wird ohne Internet etwa kaum noch Flüge buchen können. Es wird auf dieser Ebene sicher eine Zwei-Klassen-Gesellschaft geben.

(Bettina Pfluger, SPEZIAL - DER STANDARD/Printausgabe, 22.08.2008)