Begeisterungsfähige Pragmatikerin: Christine Vachon (45), die Frau hinter Filmen wie "Velvet Goldmine", "Kids"  oder "I’m Not There".

Zur Person: Christine Vachon, geb. 1962 in New York; produzierte 1991 Todd Haynes’ Spielfilmdebüt "Poison"  und seither alle Filme des US-Regisseurs, darüber hinaus arbeitete  sie unter anderem mit Larry Clark, Rose Troche, Mary Harron, Cindy Sherman, Todd Solondz oder Tom Kalin. Vachon hat eine Adoptivtochter und lebt in New York.

Foto: Filmfestival Locarno

Isabella Reicher und Catherine Berger sprachen mit ihr beim Filmfestival Locarno, wo Christine Vachon mit dem Raimondo-Rezzonico-Preis für unabhängiges Produzieren ausgezeichnet wurde.

Standard: Sie werden als ein Teil des US-Independent-Kinos gesehen - was bedeutet das für Sie?

Vachon: Der Begriff "independent" ist mittlerweile ziemlich abgenutzt und verfälscht. Ich weiß gar nicht mehr so genau, was Leute meinen, wenn sie ihn verwenden. Wenn Europäer von Independent Film sprechen, dann meinen sie oft US-Filme, die europäischen irgendwie ähneln. Wenn Amerikaner von Independents reden, dann bedeutete das früher einfach Filme, die außerhalb des Hollywood-Systems finanziert wurden. Mittlerweile hat sich dieser Gegensatz jedoch völlig vermischt, weil viele Blockbuster über Beteiligungsfinanzierungen entstehen - etwas, das früher ausschließlich bei unabhängigen Produktionen üblich war.

Standard: Inzwischen ermöglicht die Technik einer neuen Generation noch einmal ganz andere Formen, unabhängig zu arbeiten.

Vachon: Ich finde das großartig. Ich persönlich bestehe nicht darauf, dass Filme auf Filmmaterial gedreht werden müssen. Aber viele der Regisseure, mit denen ich arbeite, haben dazu eine sehr eindeutige Haltung - sie wollen sich mit ihrer Arbeit schließlich auch auf eine Tradition beziehen. Für mich wäre es allerdings auch ökonomisch unrealistisch, wenn ich mich jetzt aufs Produzieren von Do-it-yourself-Filmen, wie die Leute um Regisseur Andrew Bujalski sie machen, verlegen würde. Der Zug ist für mich abgefahren. Was wir schon tun, ist die Augen offen halten nach solchen neuen Arten des Geschichtenerzählens und die auch zu unterstützen.

Viele Leute unterschätzen diese jungen Filmemacher nämlich - sie werfen ihnen vor, sie würden das Handwerk nicht achten. Aber wenn man genau hinsieht, merkt man, dass das auf viele Arbeiten nicht zutrifft.

Standard: Was suchen Sie, wenn Sie einen neuen Filmemacher entdecken oder aufbauen, welche Qualitäten sind für Sie wichtig?

Vachon: Es beginnt für gewöhnlich mit einem Script oder einem Konzept. Ich muss entscheiden, ob das Potenzial hat, etwas ist, das ich vorher noch nicht gesehen habe. Der Regisseur wiederum muss jemand sein, dem ich zutraue, bis zum Ende durchzuhalten. Und dann muss ich natürlich überzeugt sein, dass ich das ganze Paket verkaufen kann. Wenn es um ein Debüt geht, muss ich sicher sein, dass sie oder er so wirken, dass ich sie mit einem Star zusammenbringen kann und dieser dem Projekt zustimmt. Denn das ist oft der Weg zur Finanzierung solcher Filme. Ein Regisseur kann sehr gescheit sein, aber wenn er nicht in der Lage ist, andere für sein Ding zu begeistern, dann kann ich mich nicht darauf einlassen.

Standard: Sie haben gerade Helen Hunts Regiedebüt Then She Found Me produziert. Und Sie haben schon früher mit Regisseurinnen gearbeitet, die aber oft nach ihrem Debüt, vielleicht einem zweiten Film wieder von der Bildfläche verschwinden oder allenfalls noch im Fernsehen arbeiten.

Vachon: Und warum glauben Sie, ist das so?

Standard: Das wollte ich Sie gerade fragen.

Vachon: Ist es nicht offensichtlich? Weil sie Kinder kriegen. Ich weiß, das will keiner hören, aber daran liegt es. Ich bin inzwischen lange in diesem Geschäft, und ich sehe es wieder und wieder. In ihren Zwanzigern realisieren viele Regisseurinnen ihre ersten Projekte. Diese Filme sind oft nicht weniger erfolgreich als die ihrer männlichen Kollegen. Aber wenn sie dann in ihre Dreißiger kommen, und sich entscheiden, Kinder zu haben, ist die Sache vorerst gelaufen. Das ist der Grund. Es ist nicht frauenfeindlich, abgesehen von der inhärenten Frauenfeindlichkeit der Tatsache, dass hauptsächlich die Mütter für die Kinderbetreuung verantwortlich gemacht werden.

Das Fernsehen wiederum ermöglicht geregelte Arbeitszeiten. Es ist viel nachsichtiger gegenüber den Bedürfnissen von Müttern, die dann mal schnell nach Hause müssen, weil ein Kind krank geworden ist. Wenn man hingegen einen Film macht, dann geht das nicht. Man kann nicht mitten im Dreh sein eigenes Set verlassen.

Standard: Wie gehen Sie damit um, wenn ein Film wie Todd Haynes Dylan-Film I'm Not There die Erwartungen an den Kinokassen nicht überall erfüllt?

Vachon: Das war regional sehr unterschiedlich. Es war klar, dass er sperriger sein würde als etwa Far From Heaven. Und ich habe auch das Gefühl, dass ein Film wie I'm Not There zwar eine gewisse Auswertung im Kino haben wird, dann jedoch ein gewaltiges Nachleben auf DVD (Erscheinungstermin: 25. 8.). Und zwar, weil das ein Film ist, den Leute immer wieder sehen wollen, gemeinsam mit ihren Freunden - man hat lang daran zu knabbern. Natürlich kommt jetzt auch noch der tragische Aspekt des Todes von Heath Ledger dazu. So traurig das ist, aber auch davon profitiert der Film.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.8.2008)