"Kannst du mir die Geschichte von Romeo und Julia erzählen?"  – Liebevolle Annäherungen an ein unbekanntes Stück durch das Nature Theater of Oklahoma.

Foto: Festspiele

Salzburg - "Willst du schon gehn? Es war der Spatz und nicht die Taube ..." Oder so ähnlich. Nicht nur in ornithologischer Hinsicht sind Shakespeares Texte uns etwas fern gerückt in den vergangenen Jahrhunderten. Ihr Blick auf den Ort des Menschen in der Welt, der Glanz ihrer Metaphorik, ihrer Bilder, ihre kluge Psychologie.

Eine Ferne, deren unausschöpflicher Reichtum eine ebenso unausschöpfliche Lust an ihrer Erkundung hervorrufen könnte, eine Lust an neuen, ungeahnten Erfahrungen ... Doch die Erkundung der Ferne bedarf, will man in ihr nicht, nach Art des Touristen, nur das Gekannte erblicken, der Offenheit für das Andere, der Liebe. Der Zeit. Wer kennt das Lied der Nachtigall, wer das der Lerche? Wer das Aussehen der beiden Vögel? Wer die Orte, wer die Stunde, da sie singen? Noch heute singen?

Einer Zeit der Erkundung also. Ohne die, wie der große Zyklus des Burgtheaters einmal mehr erweist, die Welt des Manns aus Stratford-upon-Avon so tief erkannt wird wie etwa "Vienna" von einem "Europe-within-ten-days" -Reisenden im vollklimatisierten Bus mit bordeigener Toilette.

Telefonprotokolle

Weitaus bescheidener gibt sich da die Annäherung des Nature Theater of Oklahoma um Pavol Liska und Kelly Copper, zu sehen bei den Salzburger Festspielen. Seit rund vier Jahren arbeitet die junge Gruppe systematisch mit Texten, die sie aus den Tonband-Protokollen von Telefongesprächen collagiert. Telefongesprächen mit Freunden - zu konkreten Fragestellungen, die mit all ihren Unsicherheiten, allen "ähs" und Abbrüchen von den Schauspielern (die ausschließlich die akustischen Originale zu hören kriegen, keinen schriftlich notierten Text) erlernt und gesprochen werden. Was unsere heutige Form des Gesprächs, artifiziell überhöht, kenntlich macht.

"Kannst du mir die Geschichte von Romeo und Julia erzählen?" , hieß dieses Mal die Fragestellung. Die Antworten deklamieren Anne Gridley und Robert M. Johansen auf schmalem Holzpodest in elisabethanischer Gewandung und Gestik. Das klingt etwa so: "Also. Romeo bringt einen um. Den Besten. Den Bruder von Julia, glaube ich. Oder so. Und wird in einem Kampf verletzt. Und sie sieht ihn - und glaubt, er ist tot ... und bringt sich um. Und er wacht auf, sieht sie und bringt sich um. Äh. Stimmt das?"

Neunzig Minuten dauert die Annäherung an das Drama - die nie behauptet, Shakespeare zu verstehen, sondern ganz bei sich bleibt. Und sich im Lauf der Zeit auch grundsätzlicheren Fragen zuwendet - etwa der, was es heißt, "bedürftig" zu sein, was "verletzlich" .

Großer Schlussapplaus. - Und dann - Licht aus. Und im Dunkel: Shakespeare pur. Die berühmte Gartenszene (II/2). Ohne Übertitel (!) Neuer Applaus. Die Bühne leer. Frei für den Text. Danke. (Cornelia Niedermeier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.8.2008)