Einen faszinierenden Seitenaspekt des Einmarsches in der ÈSSR hat der österreichische Historiker Günter Bischof von der University of New Orleans in US-Archiven erforscht.

Am Nachmittag des 20. August 1968 meldete sich der sowjetische Botschafter in Washington, Anatoli Dobrynin, im Weißen Haus und bat um eine dringende Audienz. Er wollte Präsident Lyndon B. Johnson persönlich davon berichten, dass sowjetische Panzer nach Prag unterwegs waren. Für Johnson war dies eine besonders unangenehme Nachricht. Er war durch den Vietnamkrieg politisch geschwächt und hatte auf seine Wiederwahl verzichtet.

Am nächsten Tag aber wollte er auf einer Pressekonferenz verkünden, dass er nach Leningrad reisen werde, um dort mit dem sowjetischen Parteichef Leonid Breschnew der Entspannungspolitik neues Leben einzuhauchen. Das, so Johnsons Hoffnung, sollte sein außenpolitisches Erbe werden.

Minutenlang wollte Johnson gar nicht wahrhaben, was ihm Dobrynin da erzählte, erinnerte sich sein Sicherheitsberater Walt Rostow. Der Präsident ignorierte die Nachricht vom Sowjet-Einmarsch und brachte das Gespräch ständig auf den Gipfel der Supermächte zurück, an dessen Zustandekommen er immer noch glaubte. Selbst bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates am späten Abend wollte Johnson erneut über den Gipfel sprechen.

Erst Außenminister Dean Rusk machte klar, dass der sowjetische Einmarsch die Hoffnung auf Entspannung zerstört hatte. (Eric Frey/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.8.2008)