Foto: Josef Koudelka, Magnum

Der Prager Frühling ist zu Ende: Am 21. August rollen Panzer in die tschechoslowakische Hauptstadt ein. Die Menschen stellen sich den Streitkräften vergebens in den Weg, bewerfen die Panzer mit Steinen. Rund 100 Zivilisten werden getötet.

Foto: Josef Koudelka, Magnum

Die Kriegsbilder aus Georgien weckten dennoch Erinnerungen.

Viele Tschechen, die die Kriegsbilder der vergangenen Woche aus Georgien betrachteten, fühlten sich zwangsläufig an den Einmarsch der sowjetischen Panzer am 21. August 1968 und das gewaltsame Ende des Prager Frühlings erinnert. Tatsächliche Parallelen gibt es nur wenig: In Moskau regierten damals die Kommunisten, die Tschechen hatten die Sowjets mit ihrer Demokratiebewegung und nicht, wie die Georgier, mit Waffen provoziert.

Aber die Begleitmusik der beiden Invasionen ist doch sehr ähnlich. Werden die russischen Truppen in Georgien als "friedensstiftende Kräfte" bezeichnet, war vor 40 Jahren von einer "brüderlichen internationalen Hilfe" die Rede. Die deklarierte zeitliche Begrenzung der russischen Armeepräsenz in Georgien erinnert ebenfalls an die Tschechoslowakei vor 40 Jahren. Auch dort hätten die Truppen nur bis zur "Beruhigung der Situation" bleiben sollen. Geblieben sind sie 21 Jahre.

Wenn man auch in diesen Tagen in Tschechien praktisch von allen Seiten mit der Erinnerung an den Jahrestag der blutigen Beendigung des Prager Frühlings konfrontiert wird, ist die tschechische Gesellschaft bei diesem Thema doch tief gespalten. So glauben laut einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts CVVM 45 Prozent der Menschen, Prag 68 gehöre längst der Vergangenheit an und das Kapitel "Prager Frühling" wäre höchstens etwas für Historiker. 41 Prozent vertreten die gegenteilige Meinung: Für sie ist das ebenso lebendige Erinnerung wie eine Warnung für die Zukunft.

Einigkeit herrscht bei der Ablehnung des Einmarsches wie auch bei der Anerkennung jener Tschechen und Slowaken, die von den Sowjets erschossen wurden. Anerkannt werden auch die Formen des passiven Widerstands gegen die Besatzer, die nicht zuletzt in zahlreichen Sabotageakten oder den populären Losungen "Geh nach Hause, Iwan" oder "Lenin, wach auf, Breschnew ist verrückt geworden, er will deine Ideen begraben" ihren Ausdruck fanden.

Auch wenn sich der Reformprozess in der Tschechoslowakei schon im Jahr 1967 allmählich den Weg bahnte – seine endgültige Bestätigung fand er im Jänner 1968, als der Stalinist Antonin Novotny als Chef der Kommunisten durch den Reformer Alexander Dubèek, die spätere Symbolfigur der Reformbewegung, ersetzt wurde. Das neue gesellschaftliche Klima in der Tschechoslowakei sorgte für wachsende Unruhe im übrigen Ostblock.

Als dann der tschechische Schriftsteller Ludvik Vaèulik im Juni 1968 sein kritisches Manifest der 2000 Worte veröffentlichte, wurde das von Moskau als Beweis für "konterrevolutionäre Kräfte" verstanden und als Vorwand für den Einmarsch in die Tschechoslowakei gesehen. Weitaus schwerwiegender waren jedoch die Folgen. Die neue kommunistische Führung unter Gustáv Husák, der ursprünglich lange als Dubèeks Gefolgsmann galt, setzte nach 1969 und in den frühen 1970er-Jahren zu einer Säuberungswelle an. Tausende Tschechen und Slowaken wurden wegen ihrer Loyalität gegenüber der Reformführung aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen. Als Ausgleich für die verlorengegangenen Freiheiten der Bürgerbewegung sorgte das Husák-Regime dafür, dass es den Menschen zumindest materiell relativ gut ging.

Treue Vasallen Moskaus

Das Ende des Prager Frühlings hatte zwei Langzeitfolgen: Erstens gehörten die tschechoslowakischen Kommunisten bis zum Fall des Eisernen Vorhangs zu den treuesten Vasallen Moskaus. Selbst als Michail Gorbatschow mit seiner Perestroika eine Öffnung begann, wollte die Prager Führung nichts von Reformen hören.

Die zweite Folge war das seither angespannte Verhältnis zwischen Tschechen und Slowaken, das nach der Wende zur Auflösung der Tschechoslowakei führte. Der Slowake Dubèek wollte seinen slowakischen Landsleuten eine größere Autonomie gewähren, nach seinem Sturz wurden diese Pläne aber begraben. Und unter Dubèeks Nachfolger behielten bis zur Wende 1989 die Tschechen das Wort. (Robert Schuster aus Prag/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21.8. 2008)