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Neukaledonische Krähen sind außergewöhnlich geschickt bei der Verwendung von Werkzeugen.

Foto: APA/dpa/Ron Toft

Der Graupapagei Einstein im Zoo von Knoxville, Tennessee, kann mehr als 200 Tierstimmen und Geräusche nachmachen und auf Aufforderung wiedergeben. Nur wenn die Trainerin fragt, wie das Stinktier macht, gibt er kein Geräusch von sich, sondern sagt deutlich vernehmlich "Stinker". Das ist bemerkenswert - und nicht wenige Zoobesucher werden sich bei der Vorstellung fragen, was Einstein sich eigentlich so dabei denkt.

Noch vor nicht allzu langer Zeit wäre die wissenschaftliche Antwort darauf klar gewesen: nämlich "Nichts". Denken war ein ausschließliches Vorrecht des Menschen. Heute ist das nicht mehr so einfach. Zwar ist der gefiederte Einstein nicht in Gefahr, seinem menschlichen Namensvetter das Wasser zu reichen (so wie der Großteil der Menschheit), doch die Zeiten, als Tiere nichts anderes als bessere Automaten waren, sind vorbei.

"Denken bei Vögeln" nennt sich denn auch ein FWF-Projekt, mit dem Kurt Kotrschal und sein Mitarbeiter Christian Schloegl vom Department für Verhaltensbiologie der Universität Wien dem Problem weiter zu Leibe rücken wollen. Dabei arbeiten sie mit Forschern des Departments für Neurobiologie und Kognitionsforschung der Uni Wien sowie der Universitäten Triest und Oxford und des Tiergartens Schönbrunn zusammen.

An der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für Ethologie in Grünau, deren Leiter Kotrschal ist und an der auch ein Teil der Versuche zum laufenden Projekt durchgeführt werden, hat man Erfahrung mit der Erforschung von kognitiven Fähigkeiten bei Vögeln.

Thomas Bugnyar hat hier in den letzten Jahren bewiesen, dass Kolkraben zu Täuschungs- und Verschleierungstaktiken imstande sind: So merken sie sich nicht nur die Nahrungsverstecke von Artgenossen, um diese zu plündern, sondern legen auch Scheinverstecke an, offenbar um anderen das Plündern schwerer zu machen. Zum selben Zwecke bemühen sie sich auch, Futter erst dann zu verbergen, wenn niemand zuschauen kann. Umgekehrt geben sie sich betont desinteressiert, solange ein Artgenosse in ihrer Nähe beim Verstecken ist, und plündern seinen Vorrat erst, wenn er weg ist.

Im laufenden Projekt will die Gruppe um Kotrschal herausfinden, ob Vögel imstande sind, eine Situation richtig einzuschätzen, wenn sie nur unvollständige Informationen darüber haben. Zum Beispiel: Die Vögel lernen zuerst, dass immer eines von zwei geschlossenen Gefäßen Futter enthält. Dann zeigt ihnen jemand, dass ein Napf leer ist und lässt sie danach zwischen den beiden Behältern wählen. Sind sie zu dem logischen Schluss fähig, dass der andere den Leckerbissen enthält, müssten sie schnurstracks (und immer wieder) diesen ansteuern.

Weiterführende Versuche sollen zeigen, inwieweit die Vögel einschätzen können, was ein Artgenosse als Nächstes tun wird - je nachdem, was er gesehen hat, wie z. B. Futterverstecken. Auch soll untersucht werden, inwieweit sie den sozialen Rang eines unbekannten Vogels beurteilen können, nachdem sie beobachten konnten, wie er in einer Auseinandersetzung mit einem ihnen bekannten Individuum abgeschnitten hat.

Vergrößerte Hirnregion

Getestet werden diesmal jedoch nicht nur Kolkraben, sondern auch Eichelhäher, Dohlen und Neukaledonische Krähen sowie Graupapageien und Keas. Die ersten vier Arten gehören zu den Rabenvögeln, die letzten beiden zu den Papageien - beides Familien, die sehr langlebig sind, eine ausgedehnte Jugendphase haben und zumindest zeitweise in Gruppen mit komplexen Beziehungen leben. Außerdem zeichnen sie sich durch eine vergrößerte Hirnregion aus, von der man annimmt, dass sie bei kognitiven Leistungen eine Rolle spielt.

Die Untersuchungsarten unterscheiden sich jedoch in wesentlichen Aspekten ihrer Lebensweisen: Für Kolkraben und Eichelhäher stellen Artgenossen in den meisten Fällen Nahrungskonkurrenten dar, vor denen sie Futter häufig verstecken. Das trifft jedoch nur in geringerem Umfang für Dohlen und Papageien zu. Die Neukaledonischen Krähen sind insofern bemerkenswert, als sie außergewöhnlich geschickt bei der Verwendung von Werkzeug sind. Die Frage ist, ob sich die jeweiligen Unterschiede auch auf die Intelligenzleistungen der Arten auswirken.

Prinzipiell gibt es zwei Hypothesen zur Entwicklung kognitiver Fähigkeiten: Der "Generelle Intelligenz"-Ansatz geht davon aus, dass entsprechender Selektionsdruck zu einer allgemeinen Entwicklung von Intelligenzleistungen führt, während die "adaptive Spezialisierungshypothese" postuliert, dass nur ganz spezifische Fähigkeiten entwickelt werden, die die jeweilige Art bei ihrer Lebensweise braucht. Wenn Letzteres stimmt, sollten Kolkraben und Eichelhäher bei allen Experimenten, bei denen es um Futterverstecken geht, besser abschneiden als Dohlen, Graupapageien und Keas. Beim Einschätzen des sozialen Ranges eines Unbekannten hingegen sollten keine signifikanten Unterschiede zu bemerken sein. Die Forscher hoffen, durch die Versuchsergebnisse tiefere Einblicke in die evolutionären Mechanismen zur Ausbildung der kognitiven Fähigkeiten zu gewinnen. (Susanne Strnadl /DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2008)