Bild nicht mehr verfügbar.

Anschläge, Kriege, Naturkatastrophen oder Unfälle: Manche Menschen können traumatische Ereignisse besser bewältigen als andere.

Foto: AP/Rafiq Maqbool

Das "Trauma" hat Hochkonjunktur – es zeigt sich nach Naturkatastrophen, Kriegen oder Anschlägen, individuellen Erlebnissen wie Vergewaltigung, Bedrohungen oder Unfällen: Die Diagnose PTSD (engl. Posttraumatic Stress Disorder oder Posttraumatische Belastungsstörung) gehört heute zum klinischen und sozialpsychologischen Alltag. Und auch im Alltag der Medien, die davon berichten. Was meint PTSD? Fest steht: Das, was wir heute Trauma nennen, ist ein relativ modernes Phänomen.

Betroffene erinnern sich an das Ereignis in Flashbacks, spontanen Bildern oder Alpträumen, vermeiden assoziative Situationen, erleiden körperlich Schlaflosigkeit, Angst und Konzentrationsverlust. Doch: Bei Katastrophen, die sehr viele Menschen treffen, ist davon jedenfalls nur eine Minderheit gefährdet alle Symptome zu entwickeln. In einer prominenten Studie in den USA prägte sich bei 75 Prozent der Bevölkerung nach einer solchen Erfahrung nur bei 6,8 Prozent PTSD langfristig aus (Kessler et al., 2005). Nach WHO Index liegt die Zahl etwas höher. Immer wieder werden Risikogruppen, wie Frauen mit frühkindlichem Missbrauch oder sozial benachteiligte Personen in Studien genannt. Laut WHO könnten Nervenerkrankungen oder Persönlichkeitsmerkmale zwar eine Anfälligkeit markieren, für eine präventive Klassifizierung reiche das jedoch nicht aus.

Nach dem Paradigma der unterschiedlichen Befähigung in der Bewältigung (Trauma-Coping) ist die gegenwärtige Forschung meist angelegt. Das zeigte sich ebenso wieder in der Jahrestagung der Föderation der Europäischen Neurowissenschaftlichen Gesellschaften (FENS), die im Juli in Genf stattfand. Carsten Wotjak vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München sieht in der präventiven Diagnostik besonderes Interesse seitens staatlicher Unternehmen oder größerer Arbeitgeber, die Risikogruppen wie Einsatzkräfte, Rettungspersonal, Feuerwehrleute und Soldaten ausbilden. Auch Markus Fendt von Novartis vermutet, dass in Zukunft bestimmte biologische Marker eine Rolle spielen werden: "Zum Beispiel eine genetische Veranlagung, die dann je nach Umständen zu einer Depression, aber auch zu einer Angststörung führen kann".

Im aktuellen Handbuch der American Psychiatric Association wird PTSD den "Angsterkrankungen" zugerechnet. Die WHO kategorisiert sie als "Reaktion auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen". Der Unterschied war bislang wesentlich, denn er urteilt über die Notwendigkeit eines "äußeren" Ereignisses. Die Frage, was für den Ausbruch von Nöten ist, stellt sich für die pharmazeutische Industrie jedenfalls nicht: "Die meisten Medikamente wirken bei den verschiedenen Angststörungen recht ähnlich und sind sogar bei anderen Krankheiten, wie Depression oder Schizophrenie, einsetzbar", so Fendt. Furcht und Schmerz werden grundsätzlich als phylogenetisch (also "stammesgeschichtlich konserviert") betrachtet. Dieser Ansatz ist auch die Voraussetzung der Übertragung der Forschung von Maus auf Mensch.

"Pille danach"

Zur Untersuchung wurden am Max-Planck-Institut genetisch ähnliche Nager, die besonders zu Angst neigen, gezüchtet. An der Universität Innsbruck verglich die Gruppe um Nicolas Singewald das Zusammenwirken der dabei aktivierten Mandelkerne (Amygdala) mit weiteren Gehirnarealen. Die bei der FENS präsentierten Ergebnisse zeigten, dass bei den Angst-Tieren die "Löschung", also das Verlernen der Erinnerung, verändert ist. D-Cycloserin, ein Tuberkulosemittel, mit dem in Innsbruck aber auch schon länger international geforscht wird, soll in der Verhaltenstherapie dieses Verlernen beschleunigen. Carsten Wotjak und seine Mitarbeiter wiederum arbeiten an der Entwicklung einer "Pille danach". Diese soll 24 Stunden nach dem Ereignis erschweren, dass sich der Inhalt überhaupt verfestigt.

Die Vorstellung vom "traumatischen Gedächtnis", welches das Vergessen behindert, entstand erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Es gab allerdings keinen Wendepunkt, kein herausragendes Experiment, das zu seiner Entdeckung geführt hat. Medizingeschichtlich sind die 1860er Jahre von zwei Tendenzen gezeichnet. Einmal der Entdeckung des physiologischen Nervensystems, und, der Entdeckung des Unbewussten. Erkenntnisse aus beiden bilden das, was wir heute Trauma nennen. Oft wird auch auf die Häufung der Zugsunglücke zu dieser Zeit in Großbritannien verwiesen. Hier wurde der Nervenschock erstmals untersucht. Ebenso aber wurden, in Folge des Campball Acts, auch erstmals Kompensationszahlungen für psychische Störungen geleistet. Doch gerade das mögliche Verlangen nach Kompensation, brachte das Syndrom wieder in Verruf. Die Schilderungen könnten von den Patienten nur zu leicht verfälscht werden. Das bildet auch die heute noch meist vorgebrachte Kritik. Nach Absinken der Unfallrate wurde es dann auch um die Trauma-Forschung wieder ruhig. Das änderten die beiden Weltkriege massiv.

Späte Wahrnehmung

Erst 1980 jedoch wurde PTSD in der dritten Ausgabe des Handbuchs (DSM-III) der "American Psychiatric Association" eingetragen. Das erfolgte nach den lauten Forderungen von Psychologen in Folge des Vietnam Krieges. Damit war es auch erstmals möglich aufgrund einer psychischen Beeinträchtigung Kompensationszahlungen einzufordern. Seit 1992 befindet sich die Definition auch im erwähnten Index der "International Classification of Diseases" (ICD-10) der WHO. Aufgrund ihrer gesellschaftspolitischen Obertöne bleibt die Definition kontroversiell. Der Anthropologe Allan Young hatte die Störung gar als Euro-Amerikanische Erfindung bezeichnet.

Damit die Erzählungen der Vietnam-Veteranen nicht zur Vorlage werden, ist es in der Praxis jedenfalls notwendig kulturspezifische Bewertungen der Betroffenen zu beachten. Derzeit sind auch in Österreich an PTSD Diagnose noch Rechte gebunden. So zahlen Unfallversicherungen nach einem traumatisierenden Berufsunfall bis zu zwei Jahre nach dem Ereignis eine Versehrtenrente. Im Übrigen durften bis vor drei Jahren auch Flüchtlinge mit PTSD-Diagnose nicht abgeschoben werden. Die Objektivierung der Furcht in der Neurowissenschaft, biologische Marker, die isolierte Behandlung in der Pharmakologie werden weiterhin prägend für die Sicht auf das Trauma sein. Was die PTSD Definition in Zukunft betreffen wird ist in jedem Fall, eine Abkehr von der Erzählung. (Martina Lunzer/DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2008)