Mit 15 geriet ein muslimischer Jugendlicher aus gut integrierter Familie unter den Einfluss eines Al-Kaida-Sympathisanten. Politiker und Geheimdienst fürchten, dass dieses Beispiel kein Einzelfall ist.

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London - Tagsüber lernte er. Oder er ging in die Moschee der nordenglischen Stadt Dewsbury: Sein Großvater hatte schließlich dort zum Leitungsteam gehört. Und abends saß Hamad Munschi vor dem Computer. Die Familie glaubte, der 16-Jährige mache Hausaufgaben. Er aber sammelte Terror-Material: Anleitungen zum Bau von Sprengkörpern, das Rezept für Napalm, Details über Anschlagsziele.

Jetzt muss der junge Brite hinter Gittern weiterlernen: Ein Londoner Gericht verurteilte den mittlerweile 18-jährigen Jugendlichen wegen des Besitzes extremistischer Materialien: Munschi ist damit Großbritanniens jüngster Terrorist - sein Strafmaß wird erst in einem Monat festgelegt werden.

2005, mit 15 Jahren, war Munschi unter den Einfluss von Aabid Khan, 23, geraten. Khan rekrutierte systematisch junge Muslime als Terrorhelfer. Als Khan 2006 aus einem Terrorcamp in Pakistan zurückkehrte, fand die Polizei bei ihm umfangreiches Al-Kaida-Material. Die Anklage sprach von einer "Enzyklopädie des Terrors": Khan und Munschi seien Teil einer weltweiten Gemeinschaft. "Wer nicht an ihre Version des Islam glaubt, soll ausgelöscht werden." Unter Munschis Bett fand die Polizei Märtyrer-Phantasien: "Wer nicht an der Schlacht teilnimmt, macht sich der Heuchelei schuldig."

Der Fall des Jung-Terroristen illustriert die Faszination, die der gewalttätige Islamismus auch auf gut integrierte junge Muslime ausübt: Munschis Großvater ist ein anerkannter Islamgelehrter. Der Onkel kandidierte für die Labour Party zum Kommunalparlament und ist mit dem örtlichen Labour-Abgeordneten Schahid Malik befreundet. Der mahnt nun: "Muslimische Eltern müssen genauer darauf achten, was ihre Kinder machen."

Offenbar besonders in Dewsbury: In der unscheinbaren Stadt nahe Leeds lebten auch zwei der Selbstmordattentäter, die im Juli 2005 in der Londoner U-Bahn 52 Menschen töteten.

Seit langem warnen Sicherheitsbehörden vor der Rekrutierung desillusionierter Jugendlicher durch gewaltbereite Extremisten: Im Herbst wurde ein 17-Jähriger wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Laut Inlandsgeheimdienst MI5 liegt die Zahl gewaltbereiter Extremisten bei "mindestens 2000". Darunter seien immer mehr Minderjährige, weil Terroristen zunehmend "junge Leute von 15 oder 16 indoktrinieren und zu Gewaltakten ausbilden", erklärt MI5-Boss Jonathan Evans. (Sebastian Borger aus London/DER STANDARD, Printausgabe, 20.8.2008)